Sich auf Vergangenes berufen, um aus glanzvoller, besinnender – mitunter verklärter – Erinnerung Neues für das Jetzt oder eine erhoffend bessere Zukunft zu begründen, ist ein Wesen nationaler Identitäten. Nicht anders bei Bedřich Smetanas sechs sinfonischen Dichtungen Mein Vaterland (Má vlast), die im Bereich des in Musik geflossenen Nationalbewusstseins Tschechiens mit dem Blick auf die einstige Prager Festungsburg, dem Ort der legendenhaften Gründung des Volkes auf dem Berg Vyšherad, beginnen und enden.
Sie hat sich das Musikfestival der Stadt, Prager Frühling (Pražské Jaro), mit Stolz und feierlicher Tradition seit 1946 zum alljährlichen Eröffnungsstück stets am Geburtstag des Komponisten im Gedenken an diesen, zu einem „Jingle“ des Zusammenhalts gewordenen Beispiel der Musikgeschichte auserkoren. Ausgenommen vom Jahre 1996, als kürzlich verstorbener, selbst legendärer Roger Norrington das ganze Werk nach fünfzig Jahren dort erstmals auf historischen Instrumenten im Konzert vorstellte, wird es seither von wechselnden Orchestern mit deren modernen Utensilien aufgeführt.
2021 fiel Václav Luks allerdings mit seinem Collegium 1704 durch die aufgrund deutscher Coronamaßnahmen erzwungene Absage des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin die Ehre und Aufgabe zu, dieser bekanntesten Schöpfung tschechischer Romantik nach fünfundzwanzig Jahren zum zweiten Mal das Klanggewand der Entstehungszeit mit für sie komponierten Instrumenten und Spielweisen anzuziehen. Ein Akt, der wegen der Bedeutung der Aufführungspraxis im 21. Jahrhundert längst überfällig war, woraufhin – außerhalb des Prager Frühlings – Luks‘ Kollegen der Musica Florea umgehend folgten.
Luks sollte das Unterfangen jetzt in außertschechischen Gefilden bei der Anima Eterna Brugge wiederholen, die sich anlässlich des 70. Geburtstags ihres Gründers Jos van Immerseel im Jahr 2015 lediglich der Moldau aus Smetanas Zyklus in originalgetreuerer Besetzung gewidmet hatte. Dafür nahm Luks nicht nur seine damalige Smetana-Konzertmeisterin des Collegiums 1704, Elfa Run Kristinsdottir, mit nach Flandern, sondern auch seine spezielle, bisher allein bei diesem Stück praktizierte Mischaufstellung natürlich im Vergleich zu herkömmlichen Orchestern zahlenmäßig reduzierter Streicher. Vom Dirigentenblick aus befanden sich die zweiten Geigen in der Mitte rechts neben den Celli, die Bratschen saßen dafür rechts vor den Kontrabässen gegenüber den ersten Violinen.
Antiphon darin postiert aber die beiden Harfen, die die Figur Lumirs und die Erzählung um Herrscher Přemysl und Gattin Libuse in Vyšherad lostreten. Und es bei der Anima Eterna taten, um das Orchester einsetzen zu lassen, wie Luks es angekündigt hatte: mit frischen Augen und Ohren, ohne seit den Vierzigern letzten Jahrhunderts für romantische Musik gehaltene Stilmittel. Sprich ohne übermäßiges Vibrato eines dicken Streicherteppichs, dafür mit stärkeren, flexibleren Binnentempi samt Rubati und deutlicheren Portamenti, die sich in kitschloser, aber damit umso herzlich-empathischerer Art eben tatsächlich spürbar – transparent in doppeltem Wortsinne – an die neuen Noten herantasteten, um dann in voller Farbigkeit zu münden. Einer, die durch die Darmsaiten sehr warm, mittels der unnivellierteren Instrumente selbstverständlich differenzierter und texturierter, mal rauer, leicht dunkler getüncht, im Darbringen der historisch-folkloristischen und naturalistisch-lautmalerischen Elemente klar ausdrucksauthentischer schien.