Felix Weingartner, 1863 als Felix von Weingartner, Edler von Münzberg, in Österreich geboren, war eine vielseitige Persönlichkeit: als Dirigent, Komponist, Musikschriftsteller und Pädagoge machte er sich um die Jahrhundertwende einen Namen. Er leitete viele der großen europäischen Orchester, schrieb selbst sieben Sinfonien, fünf Opern, insgesamt fast 100 Werke; nach seinem Tod aber geriet er faktisch in Vergessenheit. In mehr als 21.000 Reviews bei Bachtrack Fehlanzeige; die Zahl neuerer Aufnahmen seiner Werke gering. Unter Sammlern kursieren noch einige seiner Interpretationen von Beethoven-Sinfonien aus den Dreißiger Jahren.
Weingartner absolvierte ein Kompositions- und Klavierstudium am Leipziger Konservatorium und wurde in Weimar Schüler von Franz Liszt, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Er begegnete Wagner, wurde 1891 Hofkapellmeister der Königlichen Oper in Berlin und 1907 Nachfolger von Gustav Mahler an der Wiener Hofoper und bei den Philharmonikern, wechselte später als Direktor an das Konservatorium Basel. Nach anfangs deutlich Lisztscher Prägung wandte er sich einem mehr klassizistischen Stil zu, in dem man auch Einflüsse von Bruch bis zur Leitmotivik Wagners und Instrumentation eines Berlioz entdecken kann.
Im Rahmen seiner „Griechischen Musiktheater-Spielzeit“ präsentierte das Theater Erfurt nun eine echte Entdeckung: Weingartners 1902 vollendete Trilogie Orestes, die die damalige Renaissance antiker Stoffe auf der Bühne widerspiegelt. Nach der Uraufführung in Leipzig und einigen Folgeterminen stand das Werk zuletzt 1910 in Prag auf dem Spielplan. Unter dem Eindruck von Wagners Ring-Teilen hat Weingartner die Mythologie um den griechischen König Agamemnon, der unerkannt aus dem Trojanischen Krieg zurückkehrt, seiner Frau Klytaimnestra und der Kinder Orestes und Elektra in den Mittelpunkt gestellt, den fortwährenden Fluch thematisiert, der zu wiederholten Morden innerhalb der Familie geführt hatte, und die letztendliche Lösung des Dramas im weisen Urteil der Göttin Athene als freudiges Finale gefeiert. Die Libretti zur Orestie verfasste er, wie Wagner für seine Werke, selbst. Bereits vorher hatte Sergei Taneyev seine Oresteia in Russland vollendet; in Berlin wurde 1963 eine dreiteilige Orestiade des französischen Komponisten Darius Milhaud uraufgeführt.
König Agamemnon wird bei seiner unerwarteten Rückkehr aus Troja von seiner Ehefrau Klytaimnestra nur scheinbar freudig begrüßt. Sie lastet ihm den Tod ihrer Tochter Iphigenie an, möchte außerdem ihren Geliebten Aigisthos auf dem Thron von Argos sehen. Zwar warnt die mit Agamemnon reisende trojanische Seherin Kassandra vor Klytaimnestras Rache; doch werden beide Rückkehrer von ihr aus dem Weg geräumt.
Im zweiten Teil trifft Tochter Elektra am Grab Agamemnons auf ihren heimkehrenden Bruder Orestes, den die Mutter als Kind außer Landes in Obhut gegeben hatte. Beide Kinder wollen Sühne für den Tod des Vaters; aus Alpträumen erwacht Klytaimnestra und erkennt ihre Sohn. Nachdem er bereits Aigisthos erschlagen hat, verschont er auch die Mutter nicht, die sterbend die Furien (Erinyen) zur Rache auffordert. Teile dieser Szenerie, mit anderen Schwerpunkten auch, wurden fünf Jahre später von Richard Strauss in seiner Elektra vertont; wahrscheinlich geriet Weingartners Werk danach in deren Schatten.