Vieles ist schon gesagt und geschrieben worden über Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra, das Projekt, das ihm am meisten am Herzen liegt, und welches er wohl als Krönung seines Lebenswerks ansieht. Ich kann nicht umhin, mich der Reihe der Kommentatoren anzuschließen: zu wichtig ist das Ziel, das der Pianist und Dirigent hier verfolgt.
Barenboim ist kein Politiker – er hat realisiert, dass im zerstrittenen Nahen Osten die einzige Lösung ist, kommenden Generationen aufzuzeigen, dass aufseiten aller Religionen und Volksgemeinschaften Menschen sind – Menschen mit Ängsten und Nöten, aber auch mit Hoffnung, mit der Fähigkeit zu Lebensfreude und friedlicher Gemeinschaft. Mit seinem Orchester erreicht er genau das, bringt junge Musiker der kommenden Generation aus allen Lagern der Region zusammen zu einem gemeinsamen Erlebnis; mit Zielen, die nur erreichbar sind, wenn alle am gleichen Strick ziehen. Dafür kann dem Altmeister nicht genug gedankt werden.
Die erwähnte Geschichte des 1999 gegründeten, stattlichen Klangkörpers erklärt auch seine ungewöhnlich homogene altersmäßige Zusammensetzung – sämtlich in der gleichen Generation. Es handelt sich nicht um ein Berufsorchester im Sinne eines permanenten Orchesters mit festangestellten Musikern. Die Jugendlichen treffen sich jeweils im Sommer für eine vierwöchige Summer School in Sevilla, danach präsentiert sich das Ensemble auf internationaler Tournee, wie hier in Luzern. Trotz dieser zeitlichen Einschränkung erreichen die Aufführungen des Orchesters bewundernswertes, absolut professionelles Niveau, das der Weltspitze in vielem durchaus nahekommt. Darüber hinaus hat sich das Ensemble meines Erachtens ein ganz eigenes Klangbild erarbeitet, das sich durch Wärme, Lebendigkeit und Musikalität auszeichnet. Barenboim richtet sein Augenmerk auf den musikalischen Fluss, die Dynamik, die Kantilenen, die großen Bögen.
Strauss' Tondichtung Don Quixote präsentierte sich als Quasi-Cellokonzert, indem der erste Solocellist, Kian Soltani, als Verkörperung des Ritters von der traurigen Gestalt vorne auf dem Podium platziert war, sein Adlatus Sancho Pansa, primär in Gestalt der Bratschistin Miriam Manasherov, aus dem Orchester heraus spielte. Diese Divergenz war für mich etwas fragwürdig, zumal der äußerst offen und lebendig agierende Cellist engen Kontakt nicht nur mit dem Dirigenten, sondern auch mit den Kolleginnen und Kollegen im Orchester hielt. In Pausen schien er seine Pultnachbarin im Hintergrund zu ermuntern oder anzufeuern. Dass der Solist aus dem Orchester kommt war auch darin ersichtlich, dass er sich trotz exponierter Platzierung außerhalb von Soli sofort in den Gesamtklang des Orchesters integrierte. Barenboim vermied Tempo-Exzesse, aber ebenso auch den Eindruck einer halb-szenischen „Inszenierung“: er ließ die Musik, den Klangzauber von Strauss' meisterhafter Instrumentierung wirken. Vielleicht war gelegentlich das Orchester im Enthusiasmus etwas laut, drohte den weichem, warmem Ton des Solocellos zuzudecken. Zugabe: der ubiquitäre Schwan aus Saint-Saëns' Le carnaval des animaux.