Trotz ihrer scheinbar „simplen“ Märchenmoral verweigert sich Mozarts Zauberflöte seit jeher einspurigen Deutungsansätzen. In dem Siegeszug des historisch informierten Musizierens kehrte man zu den volkstümlichen Wurzeln der Altwiener Singspieltradition zurück und versuchte, das widerspenstige Märchen in seinem ursprünglichen Zeitbezug neu zu deuten. Verblüffend zeitgemäß, ins 21. Jahrhundert gedacht, inszenierte nun Goyo Montero, scheidender Direktor der Ballettkompanie am Staatstheater Nürnberg und selbst Tänzer, Mozarts letzte Oper. So schlüssig modern dürfte weltweit kaum eine andere Zauberflöte auf den Spielplänen zu finden sein. Mit seinen raffinierten Ballettproduktionen hatte er sich bereits überregional einen Namen gemacht; Montero bewies nun erstmals auch seinen Ideenreichtum in der Opernregie.
„Für mich erzählt Die Zauberflöte die Reise eines jungen Menschen aus tiefster Verzweiflung zurück zu sich selbst.“ Alles spielt sich ab um Tamino, der im Koma oder nach einer Überdosis Träume und Halluzinationen erlebt; während des gesamten Spiels ist er im dürftigen weißen Operationshemd und mit Elektrodenhaube auf dem Kopf unterwegs. Nacht und Dunkelheit drücken diese Last aus. In der Bildnis-Arie verliebt er sich in sein eigenes Spiegelbild, das auf der Leinwand zu Paminas Porträt mutiert; auch sie, seine Doppelgängerin und andere Hälfte seines Ichs, in gleicher Haube und dünnem Hemdchen. Die Prinzipien von Dunkelheit und Licht sind in der Königin der Nacht und Sarastro personifiziert. Nach rasantem Spiel in den Prüfungen finden Tamino und Pamina in ihre Körper, ihre Seelen zurück; Finsternis und Helligkeit versöhnen sich.
Montero hat eine Feier der Sinnlichkeit im Kopf. Musik und Tanz, Spiel und Bild verschmelzen in einem schwarzen Raum mit Disco-Lichtspielen zu einer expressionistischen Ästhetik. Die große dunkle Bühne (Leticia Gañán, Curt Allen Wilmer) ist von schwarzen Vorhängen umgeben; selbst die Proszeniumslogen sind mit dunklen Folien zugehängt und reflektieren das Spiel aus Licht und Projektion. Einziges Mobiliar sind bewegliche schwarze Treppen, deren Stufen mit hellen seitlichen Lichtleisten herausgehoben werden und in die Spiegel oder Kabinen eingelassen sind. Fast zu häufig werden diese Stufensegmente umgruppiert, findet ihrerseits geradezu ein Treppenballett statt.
Dass bereits die Ouvertüre für eine „Vorgeschichte“ als stumme Pantomime genutzt wird, empfand man angesichts der etwas verworrenen Handlung als unnötig; schade dass hierdurch auch vom schön sich entwickelnden Orchesterklang der Nürnberger Staatsphilharmonie abgelenkt wurde. Und schon hier bewegen sich Tänzer in Body Suits mit fluoreszierenden Aufdrucken blattartiger Adergeflechte um die Hauptfiguren herum, die sie auch später an die Hand nehmen, sie führen, sich um sie sorgen.
Einen größeren Gegensatz zwischen den „farblosen“ Hauptpersonen Tamino sowie Pamina und den weiteren Rollen kann man sich kaum vorstellen: grell kolorierte, suggestive Kostüme (Salvador Mateu Andujar) und Rave-Outfits beherrschen die Szene. Die drei Damen, die das Spiel um Tamino eröffnen, treten in blauen, aus Plastik-Luftkammern bestehenden Röcken auf, mit ebenso tiefblauem Kopfschmuck. Grell geschminkt und verkleidet auch die drei Knaben des Tölzer Knabenchors, die sich mutig in Tanz und Gesang einmischten. Monostatos (stimmstark Florian Wugk) agierte in schwarzem Bowler-Hut und durchsichtigem Plastikmantel, darunter ein aufgeblasenes, munteres Glied, das er nur mühsam im Zaume halten kann und im Laufe der Geschichte noch anwächst.