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Tamino zwischen Trance und Tempo: zündende Neuinszenierung der Zauberflöte in Nürnberg

Por , 11 octubre 2024

Trotz ihrer scheinbar „simplen“ Märchenmoral verweigert sich Mozarts Zauberflöte seit jeher einspurigen Deutungsansätzen. In dem Siegeszug des historisch informierten Musizierens kehrte man zu den volkstümlichen Wurzeln der Altwiener Singspieltradition zurück und versuchte, das widerspenstige Märchen in seinem ursprünglichen Zeitbezug neu zu deuten. Verblüffend zeitgemäß, ins 21. Jahrhundert gedacht, inszenierte nun Goyo Montero, scheidender Direktor der Ballettkompanie am Staatstheater Nürnberg und selbst Tänzer, Mozarts letzte Oper. So schlüssig modern dürfte weltweit kaum eine andere Zauberflöte auf den Spielplänen zu finden sein. Mit seinen raffinierten Ballettproduktionen hatte er sich bereits überregional einen Namen gemacht; Montero bewies nun erstmals auch seinen Ideenreichtum in der Opernregie.

Premierenbesetzung: Martin Platz (Tamino) und Chloë Morgan (Pamina)
© Jesús Vallinas

„Für mich erzählt Die Zauberflöte die Reise eines jungen Menschen aus tiefster Verzweiflung zurück zu sich selbst.“ Alles spielt sich ab um Tamino, der im Koma oder nach einer Überdosis Träume und Halluzinationen erlebt; während des gesamten Spiels ist er im dürftigen weißen Operationshemd und mit Elektrodenhaube auf dem Kopf unterwegs. Nacht und Dunkelheit drücken diese Last aus. In der Bildnis-Arie verliebt er sich in sein eigenes Spiegelbild, das auf der Leinwand zu Paminas Porträt mutiert; auch sie, seine Doppelgängerin und andere Hälfte seines Ichs, in gleicher Haube und dünnem Hemdchen. Die Prinzipien von Dunkelheit und Licht sind in der Königin der Nacht und Sarastro personifiziert. Nach rasantem Spiel in den Prüfungen finden Tamino und Pamina in ihre Körper, ihre Seelen zurück; Finsternis und Helligkeit versöhnen sich.

Montero hat eine Feier der Sinnlichkeit im Kopf. Musik und Tanz, Spiel und Bild verschmelzen in einem schwarzen Raum mit Disco-Lichtspielen zu einer expressionistischen Ästhetik. Die große dunkle Bühne (Leticia Gañán, Curt Allen Wilmer) ist von schwarzen Vorhängen umgeben; selbst die Proszeniumslogen sind mit dunklen Folien zugehängt und reflektieren das Spiel aus Licht und Projektion. Einziges Mobiliar sind bewegliche schwarze Treppen, deren Stufen mit hellen seitlichen Lichtleisten herausgehoben werden und in die Spiegel oder Kabinen eingelassen sind. Fast zu häufig werden diese Stufensegmente umgruppiert, findet ihrerseits geradezu ein Treppenballett statt.

Premierenbesetzung: Samuel Hasselhorn (Papageno)
© Jesús Vallinas

Dass bereits die Ouvertüre für eine „Vorgeschichte“ als stumme Pantomime genutzt wird, empfand man angesichts der etwas verworrenen Handlung als unnötig; schade dass hierdurch auch vom schön sich entwickelnden Orchesterklang der Nürnberger Staatsphilharmonie abgelenkt wurde. Und schon hier bewegen sich Tänzer in Body Suits mit fluoreszierenden Aufdrucken blattartiger Adergeflechte um die Hauptfiguren herum, die sie auch später an die Hand nehmen, sie führen, sich um sie sorgen.

Einen größeren Gegensatz zwischen den „farblosen“ Hauptpersonen Tamino sowie Pamina und den weiteren Rollen kann man sich kaum vorstellen: grell kolorierte, suggestive Kostüme (Salvador Mateu Andujar) und Rave-Outfits beherrschen die Szene. Die drei Damen, die das Spiel um Tamino eröffnen, treten in blauen, aus Plastik-Luftkammern bestehenden Röcken auf, mit ebenso tiefblauem Kopfschmuck. Grell geschminkt und verkleidet auch die drei Knaben des Tölzer Knabenchors, die sich mutig in Tanz und Gesang einmischten. Monostatos (stimmstark Florian Wugk) agierte in schwarzem Bowler-Hut und durchsichtigem Plastikmantel, darunter ein aufgeblasenes, munteres Glied, das er nur mühsam im Zaume halten kann und im Laufe der Geschichte noch anwächst.

Premierenbesetzung: Chloë Morgan (Pamina) mit den drei Knaben
© Jesús Vallinas

Tamino (Sergei Nikolaev) gefiel mit guter Ausstrahlung, wirkte stimmlich in der Höhe etwas eng; offenbar auch durch intensives Spiel in der Konzentration gespalten, was seinen Gesang beeinträchtigte. In Dialogszenen blieben Sätze undeutlich, etwa neben Pamina und Papageno, die deutlich besser artikulierten. Veronika Loy gab eine sanft leidende Pamina, deren lyrische Strahlkraft rundum beeindruckte und die in den oft zunächst unverständlichen Prüfungen quicklebendig spielte.

Demian Matushevskyi war ein Papageno zum Verlieben; sein einzigartiges anrührend-komisches Talent ging einher mit einer sonoren Baritonstimme ohne jegliche Höhenprobleme. Er verkörperte Mozarts Vogelfänger genau als jenen Sympathieträger, als der er auch musikalisch in der Partitur angelegt zu sein scheint: ohne Flöte zwar, dafür mit reichlich Glitzerpulver zum Verstreuen. Clownesk auch optisch im roten Cabaret-Anzug, ein Skelett aufgenäht, und in weißen Schnabelstiefelchen mit gekrümmten Spitzen. Clarissa Maria Undritz machte als Papagena ein mitreißendes Pärchen daraus.

Eine lebhafte Königin der Nacht verkörperte Andromahi Raptis: mit Fantasieverkleidung, deren Stachel sich in ihrer Rache-Arie, durch Druckluft genährt, noch aufstellten und sie wie eingeigelt erscheinen ließen. Die Koloraturen ihrer großer Rachearie schleuderte sie mit einer Leichtigkeit, als sei ihr Zornesausbruch alltägliche Laune und nicht existenzieller Blutrausch. Als Kreuzung aus orthodoxem Popen mit der Mähne eines Wildpferds trat Sarastro auf: Taras Konoshchenko imponierte mit sehr balsamischem Gesang bei wunderbar klar ansprechender Tiefe, durch und durch ein Abbild des Guten.

Premierenbesetzung: Sophia Theodorides (Königin der Nacht)
© Jesús Vallinas

Der Chor des Staatstheater gestaltete vokal wie spielerisch sehr ausdrucksstark, in weißen Overalls, die an Reinraumanzüge denken ließen. Im Staatsorchester, mit relativ geringer Zahl der Streicher, animierte Roland Böer die Holzbläser zu herrlichen solistischen Beiträgen. Sein insgesamt eher aufgerauter Klangcharakter zeigte eine intensive Vorbereitung, der in seiner optimalen Durchhörbarkeit nie die Sänger verdeckte oder zu unnötigem Forcieren nötigte.

Überraschend viele junge Besucher konnte man im Parkett beobachten, denen Goyo Monteros temporeiche Bühnenhandlung voller Abwechslungen hörbar gut gefiel. Aber nicht nur die jungen jubelten am Ende: auch beim Abonnentenstamm kamen Monteros unterhaltsame Revue und Böers bläserstarker orchestraler Sound bestens an. Eine Opernreise wert!

****1
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“so schlüssig modern dürfte weltweit kaum eine andere Zauberflöte auf den Spielplänen zu finden sein”
Crítica hecha desde Staatstheater Nürnberg, Nürnberg el 9 octubre 2024
Mozart, La flauta mágica (Die Zauberflöte)
Staatstheater Nürnberg
Roland Böer, Dirección
Goyo Montero, Dirección de escena, Coreografía
Leticia Gañán, Diseño de escena
Salvador Mateu Andujar, Diseño de vestuario
Nicolás Fischtel, Diseño de iluminación
Staatsphilharmonie Nürnberg
Chor des Staatstheater Nürnberg
Curt Allen Wilmer, Diseño de escena
Alvaro Luna, Videoarte
Georg Holzer, Dramaturgia
Sergei Nikolaev, Tamino
Veronika Loy, Pamina
Andromahi Raptis, Queen of the Night
Demian Matushevskyi, Papageno
Taras Konoshchenko, Sarastro, The Speaker (Der Sprecher)
Caroline Ottocan, First Lady
Linsey Coppens, Second Lady
Almerija Delic, Third Lady
Clarissa Maria Undritz, Papagena
Florian Wugk, Monostatos
Emanoel Velozo, First Armoured Man, Second Priest
Wonyong Kang, Second Armoured Man, First Priest
Soloists of the Tölzer Boys Choir, First Boy, Second Boy, Third Boy
Tarmo Vaask, Dirección de coro
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