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Romantische Ballszenerie und grelle Disco: Tschaikowskys Eugen Onegin in Nürnberg

Por , 25 noviembre 2024

„Alexander Puschkin läuft durch die Oper und wundert sich. Was hat der Komponist aus meiner Geschichte gemacht? Er beginnt, Bilder zu sehen: seine Bilder. Klänge zu hören: Tschaikowskys Musik.“ Armin Petras, Theaterregisseur und Dramatiker, titelt dieses Vorwort in großen Lettern auf den roten Bühnenvorhang des Staatstheaters Nürnberg, noch während des Vorspiels zu Eugen Onegin, Peter Tschaikowskys wohl berühmtester Oper von 1878, die er selbst wegen ihrer seelischen Intimität als „Lyrische Szenen“ bezeichnete. Und lässt die Schauspielerin Stephanie Leue wortlos durch die Szenen wandern, das Bühnenspiel beobachten, emsig einen Birkenstock, Sinnbild russischer Waldromantik, über die Bühne schleppen, wie ein Geist unbeachtet unter das bäuerliche Landvolk sich mischen. Mehr nichtssagend als erhellend sind auch weitere nachdenkliche Texteinblendungen auf den Wandflächen des Bühnenbilds, die Gedanken aus Puschkins Feder sein könnten.

Tetiana Miyus (Tatjana)
© Bettina Stoess

Julian Marbachs Bühne ist schmucklos und doch ein eindrückliches Abbild des Lebens in russischem Landadel und heiler Welt rustikaler Feste. Ein Fassadenteil aus Fachwerk und einige Sessel markieren das Herrenhaus, im Hintergrund prangen Projektionen expressionistischer Wald- und Baumstudien, teilweise durch die hölzerne Silhouette der Vorderbühne verdeckt, deren Bodenhöhe für das mondäne Schuhwerk der Damen zur Herausforderung wird. Im Garten wandeln Olga und Tatjana, Töchter der Gutsbesitzerin Larina, durch gepflegte Heckenreihen; die introvertierte Tatjana, unentwegt beim Lesen von Büchern, muss sich die Neckereien ihrer eher oberflächlich vergnügten Schwester gefallen lassen, die ihr die Bände mal unter Steinen versteckt. Den Erzählungen ihrer Amme und Haushälterin Filipjewna folgt Tatjana gespannt.

Sara Šetar (Olga) und Tetiana Miyus (Tatjana)
© Bettina Stoess

Beim Besuch von Olgas Verehrer, dem jungen Dichter Wladimir Lenskij, lernt Tatjana dessen Freund Eugen Onegin kennen und verliebt sich in ihn. Die große Briefszene, in der Tatjana ihre Gefühle zu Papier bringt und wie Suchplakate an die Landhauswand klebt, ist nicht nur in der Ausdehnung ihres Ringens Höhepunkt des ersten Akts. Schlichtweg großartig gestaltete Tetiana Miyus, Gast von der Oper Bonn, diese intimen Blicke in eine verliebte Seele. Subtil war die Gestaltung ihrer inneren Bewegung; ihre Piani waren anrührend, atemberaubend wenig später die ekstatischen Crescendi zu lichten Spitzentönen ihrer stimmstark lodernden Begeisterung.

Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin) und Tetiana Miyus (Tatjana)
© Bettina Stoess

In diesem ersten Akt gelingt es Petras, auch die anderen weiblichen Hauptrollen wie in einem Kammerspiel zu warmherziger Begegnung kommen zu lassen, eine fast idyllische Atmosphäre familiärer Vertrautheit zu schaffen. Monica Mascus, als Gast vom Theater Koblenz, agierte als Mutter Larina mit liebevoller Bestimmtheit, aber auch nobler Distanz. Mit warmem Mezzo gab Sara Šetar der Olga Lebenslust und Freude daran, beim Ball auch mal von einem anderen Tänzer aufgefordert zu werden. Eine weise und mitfühlende Filipjewna porträtierte Almerija Delic mit wunderbar wandlungsfähigem Mezzosopran.

Sergei Nikolaev (Lensky) und Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin)
© Bettina Stoess

Überheblich weist Onegin Tatjanas Liebesschreiben zurück, er sei für eine Beziehung ungeeignet. Und so bleibt Tatjana beim im zweiten Akt anschließenden Ball die einzige, die enttäuscht und lethargisch sich dem fröhlichen Trubel entzieht und Tortenbrocken in sich hineinstopft. Hier kommt es zum Showdown der beiden Freunde, nachdem Onegin auffällig provozierend beim Walzer Olga Avancen gemacht hatte. Lenskij fordert Onegin zum Duell; auf einer mit riesiger grauer Folie zur farb- wie trostlos verwandelten Schneewüste besang Sergei Nikolaev melancholisch und leuchtkräftig seine Liebe zu Olga und wie in Todesahnung seine erkaltete Seelenlandschaft. Beim Schusswechsel tötet Onegin ihn.

Faszinierend, wie Samuel Hasselhorn Onegins Rolle füllt vom belehrenden, abgeklärten Dandy des ersten Aktes zum getriebenen Außenseiter des Schlussaktes, vor den Ruinen seines Lebens stehend; wie sein prachtvoller Bariton sich von knisternder Erregung über eisige Kälte bis zu entwaffnender Selbsterkenntnis wandeln kann: beinahe zu balsamisch schön für einen berechnenden Filou.

Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin) und Taras Konoshchenko (Gremin)
© Bettina Stoess

Da hätte sich Puschkin noch mehr gewundert: dass bis zu Onegins Rückkehr mehr als hundert Jahre vergangen sein sollen und der noch immer vagabundierende Dichter zum heruntergekommenen Obdachlosen geworden sei, ist Petras’ überraschender Coup zu Beginn des dritten Akts. Und die Soiree beim Fürsten Gremin findet als düstere Drogenparty im Betonbunker einer Vorstadtdisco statt, wo die Videowand einen lachend tanzenden Ministerpräsidenten Jelzin zeigt und Sponti-Sprüche der 70er Jahre wie „arm oder reich, nie reich genug“. Das Tanzensemble, eben noch in züchtigen Walzerdrehungen, macht in der Choreographie von Teresa Rotemberg nun auch im Rockdancing eine gute Figur.

Hier treibt jetzt die Amme Filipjewna in Lack und Leder die Rockszene an, während draußen in einer heruntergekommenen Bushaltestelle Gremin (Taras Konoshchenko mit profundem Bassregister) im Camouflage-Anzug über das Wesen der Liebe sinniert. Dort strandet auch Onegin, über den die Zeit hinweggegangen zu sein scheint und der – nach Tatjana und Lenskij – zum dritten großen Verlierer wird: Tatjana, nun in grellrot hautengem Partykleid, bekennt sich zu ihrem Gatten, lässt Onegin abblitzen. Duplizität der Ereignisse, wenn erneut die Gefühle von Onegin und Tatjana nicht in gleichen Takt zu bringen sind.

Samuel Hasselhorn (Eugen Onegin) und Tetiana Miyus (Tatjana)
© Bettina Stoess

Jan Croonenbroeck lieferte mit der Staatsphilharmonie Nürnberg einen geschliffen klaren Klang aus dem Orchestergraben, der auch in kammermusikalischer Dichte glutvoll und atmosphärisch ist. Die von Tarmo Vaask fabelhaft einstudierten Choristen des Staatstheaters hatten in vielfältigen Aufgaben als Bauern, Ballgäste und Partyvolk sichtlich Spaß. Die ideen- wie anspielungsreiche Inszenierung und das hohe vokale und orchestrale Niveau wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Ein Abend, der Vergnügen macht!

***11
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“Hasselhorns prachtvoller Bariton kann sich von knisternder Erregung über eisige Kälte wandeln”
Crítica hecha desde Staatstheater Nürnberg, Nürnberg el 23 noviembre 2024
Chaikovskiï, Eugene Onegin
Staatstheater Nürnberg
Jan Croonenbroeck, Dirección
Armin Petras, Dirección de escena
Julian Marbach, Diseño de escena, Videoarte
Patricia Talacko, Diseño de vestuario
Ingo Bracke, Diseño de iluminación
Staatsphilharmonie Nürnberg
Chor des Staatstheater Nürnberg
Georg Holzer, Dramaturgia
Ilia Papandreou, Tatyana
Tetiana Miyus, Tatyana
Corinna Scheurle, Olga
Sara Setar, Olga
Sergei Nikolaev, Lensky
Samuel Hasselhorn, Eugene Onegin
Nicolai Karnolsky, Prince Gremin
Taras Konoshchenko, Prince Gremin
Almerija Delic, Filippyevna
Julian Acht, Captain
Dariusz Siedlik, Zaretsky
Yevhen Petronelli, Zaretsky
Yongseung Song, Monsieur Triquet
Chool Seomun, Monsieur Triquet
Stefanie Schaefer, Madame Larina
Monica Mascus, Madame Larina
Teresa Rotemberg, Coreografía
Tarmo Vaask, Dirección de coro
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