Nach dem Kantaten-Ring ist vor dem nächsten Konzertzyklus. Am letzten Festivalwochenende beim Leipziger Bachfest – natürlich! – in Form eines kleineren Kompendiums, das mit Ensemble Inégal und Collegium 1704 einerseits benachbarte Prager Originalklanggruppierungen in der Nikolaikirche an sich bildeten, erstere außerdem die fünfteilige Reihe mit gegenübergestellten (damals ab ca. 1720 in Leipzig zyklischen) Passionsmusiken beschließen sollten und andererseits letztere mit den großen Instrumentalklassikern der Brandenburgischen Konzerte über zwei Tage setzten. Ebenfalls berüchtigt für ihren Zelenka, waren es diesmal die Musiker um Dirigent Adam Viktora, das Oratorium Gesù al calvario von Bachs geschätztem Dresdner Komponistenkollegen aufzuführen und dabei die unbändige, ansteckende Lust am außergewöhnlichen Werk des unverwechselbar spritzig-verrückten Böhmen zu transportieren.
Sie war diesem Orchester und Chor, die sich die Verbreitung und Entdeckung der tschechischen Barockmusik auf die Fahnen geschrieben haben, wahrlich über die zwei Teile anzuhören. Das Stück aus dem Jahre 1735, just als Zelenka Kirchencompositeur am Dresdner Hof wurde, stellt als sakral-dramatisches, italienisches Passionsoratorium keinen Evangelienbericht, sondern eine intensiv-reflektierende Handlungs- und Gefühlsbeschreibung von Maria Vergine, Maria Maddalena, Maria Cleofe, Gesù selbst und seinem Schüler San Giovanni im Angesicht der Kreuzigung dar. Und das dementsprechend in fast operaler Ausfertigung, wie bereits die erste Arie – beinahe Hasse-like – von Giovanni offenlegte, in der Filippo Mineccia mit theatralischem Einsatz seiner jugendlich aufbrausenden Charakterwelt Ausdruck verlieh. Mit Gestik und Mimik verhalf er zusätzlich, das energische und bewegliche stimmliche Aufgebrachtsein nachzuvollziehen, das Ensemble Inégal in zünftiger Attacke und eigentlich genauso passionierter Dynamik unterlegte. Auch die typisch eingebauten Elemente wie Vorschläge und Triller – bei Zelenka gleichsam grazil wie bizarr – kamen akkurat heraus, dennoch verhinderte es nicht immer das Überdecken des Countertenors, der nur in hoher Lage stets mühelos durchzudringen vermochte.
Noch furioser rauschte dessen zweite Arie durch das Kirchenschiff, bei der das Temperament Mineccias sogar sein Notenblatt vom Pult fegte, sich davon aber keinesfalls aufhalten ließ, blitzschnell, gewand und gefestigt weiterhin der Raserei emotionale Nahrung zu liefern. Ebenfalls gekonnt zelebrierend, einnehmend und wirkungsvoll geriet seine flehende Anrufung im kontrastierenden B-Teil, nach dem das Dacapo barockoperntraditionell mit der Stufe mehr Affekt und Wirbel aufwartete. Mit dem Orchester, die das Zelenka-idiomatische Repetier-und-Synkopen-Feuerwerk in die Lüfte schoss, verlangte dies gerade nach der Empfindung: so geht Oratorium, Komponist und Interpreten at its best! Erlebte Zeugnisse, von denen erfüllterweise weitere folgen sollten. Beispielhaft das mit den gedämpften Wärmestrahlen Igor Františáks allerdings etwas zaghaft solistischer Chalumeau stimmungsreich konzertierte Duett von Maria Maddalena und Maria Cleofe, in dem beide Sängerinnen, der kolorierte, ernste und galante Alt Markéta Cukrovás (zuvor in einem instrumental interessant geteilten „Si, si la morte“ in Erscheinung getreten) und Lenka Cafourkovás in Mittellage hier gut aufgehobener Sopran, wunderbar phrasiert und anrührend der schmerzlichen, aber befreienden Reue das Wort redeten.