Wenn Sie die Bachtrack-Reihe der Bachkantaten verfolgt haben, dürfte Ihnen sicher nicht entgangen sein, dass mich jeden Monat bei der Entscheidung, welches Stück ich hier vorstellen darf, die Qual der Wahl trifft. Sofort fallen mir mehrere Kantaten ein, die sich ganz aus Interesse heraus persönlich aufdrängt haben, doch genau jetzt beschrieben zu werden. Diesmal juckten mir die Finger bei Herr Christ, der einge Gottessohn, BWV96; Ach! Ich sehe, itzt, da ich zur Hochzeit gehe, BWV162 und Wer weiß, wie nahe mir mein Ende, BWV27. Seltener Einsatz von Sopranino im Eingangschor und vermutetes Orchester-Aufstellungsspiel – mein noch größerer Spleen als das Faible für Blockflöte – zur bildlichen Unterstützung der Bassarie, eine der schönsten Eröffnungsarien und Duett oder Eindrücklichkeit der frommen Bereitschaft und Gewissheit des Todes anlässlich der Evangelienlesung zum 16. Sonntag nach Trinitatis (Tod und Auferweckung des Jünglings Nain), Textverwertung einer Autorin(!) und historisch-wertschätzendes, wie heikles und interessantes Plagiat. Vielleicht überraschend habe ich instrumentale wie bühnentechnische Disposition hintangestellt, wohl aber auch abwägend, dass meine nähergebrachten Vorlieben bereits in anderen Beispielen Platz fanden und deshalb später nochmals aufgegriffen werden können, so dass nun Zeilen zu BWV27 folgen.
Die am 06. Oktober 1726 erstmals in Leipzig aufgeführte Kantate beschreibt auf besondere Weise den unausweichlichen Umgang mit der Sterblichkeit des Menschen, einer in der Zeit noch verbreiteten Form der Ars moriendi, den Tod zwangsweise allgegenwärtig und „tabuloser“ im Leben zu verorten und sich mit ihm im Glauben an die Auferweckung im Jenseits trotz oder gerade selbst wegen gewissen medizinischen Progresses im Lauf der Jahrhunderte besser abfinden zu können. Musikalisch menschlich-reelle, verständliche Trauer, Verzweiflung und Skepsis über das immer vager erscheinende Versprechen der Auferstehung im Himmel und dem fortlebenden Aufsteigen der Seele kommen zusammen mit einer musikalisch natürlich aufträglich theologisch-vermittelten Hoffnungsbeständigkeit. Nicht umsonst mutet der Titel-Chor auf das Sterbegedicht Ämilie Julianes von Schwarzburg-Rudolstadt wie ein Passionsauschnitt an, in dem die vereinigten Stimmen des Volkes auf die aufgeworfene Frage im melodiegrundlichen „Wer nur den lieben Gott lässt walten“-Vertrauen eingebettet sind in die nach jeder Strophe kommentierenden Einzelbedrückungen von Sopran-, Alt und Tenor-(Chor-)Rezitativ.