Knapp 120 Jahre hat es gedauert, jetzt hat es endlich geklappt: Umberto Giordanos Oper Andrea Chénier feiert endlich ihr Debüt an der Bayerischen Staatsoper. Mit großer Besetzung entschied sich das Münchner Nationaltheater dabei für die Inszenierung eines detailverliebten Historienschinkens – ganz im Sinne des stilprägenden Verismo.
Andrea Chénier erzählt, mit leichten Abwandlungen, die wahre Geschichte des gleichnamigen Poeten, der in die Gesellschaft des Ancien Régime am Vorabend der Französischen Revolution eingeführt wird, dort mit patriotischen Parolen für Verstörung sorgt und sich dabei in Maddalena di Coigny verguckt. Nach dem Sturz des Königs kommen die beiden wieder zusammen, doch Maddalenas einstiger Diener Gérard, jetzt einer der Anführer der Revolution, beansprucht die holde Schöne für sich und diskreditiert Chénier. Am Ende landen Chénier und Maddalena zusammen vor der Guillotine, nicht ohne sich davor noch ewige Liebe geschworen zu haben. Opernkitsch eben.
Klar im Fokus dieses Abends standen aber nicht etwa Handlung, Bühnenbild oder Dirigent, sondern Jonas Kaufmann als Titelheld. Nach mehrmonatiger Stimmbanderkrankung stand der Startenor nun erstmals wieder in München auf der Bühne und entsprechend groß war auch die Erwartung des Publikums, die Kaufmann allerdings nicht restlos erfüllen konnte. In der Gerichtszene strotze Kaufmanns Stimme vor energisch Kraft, im Schlussduett „Come un bel dì di maggio“ überzeugte er mit lyrischem Schmelz; dazwischen aber fehlten Farbe und Feuer. Gerade in den ersten Minuten, beispielsweise in seinem großen Monolog „Un dì all‘ azzuro spazio“, kämpfte er deutlich mit den Wechseln; manchmal klang sein Tenor fast brüchig und es fehlte auch ein wenig das Volumen. Nicht schlecht, aber weit entfernt von alter Form.
Kaufmann schien das selbst gemerkt zu haben und ließ beim Schlussapplaus dem eigentlichen Star des Abends klar den Vortritt: Anja Harteros. Sie ging in der Rolle der Maddalena mit jedem Takt mehr auf – mal verträumt, mal verzweifelt, aber immer mit maximaler Intensität, viel Kraft und fokussierten Spitzentönen. Als sie dann ihre große Arie „La mamma morta“ mit inniger Verzweiflung sang, da kannte das Publikum kein Halten mehr. Das war Weltklasse, die bis ins tiefste Innerste bewegte. Eine große Überraschung war auch Luca Salsi als Carlo Gérard. Der Bariton zeigte sich als stimmgewaltiger Revolutionsführer und legte, trotz aller Präzision, die ganze Bandbreite aus roher Leidenschaft, Eifersucht und geläuterter Rivalität in seiner Stimme.