Die großen Königsfamilien der griechischen Mythologie sind von Flüchen geplagt. Ob man sich nun den Stammbaum der Artriden oder den der Labdakiden betrachtet, diese Familien ringen über Generationen mit den Taten ihrer Vorfahren, was sie, so scheint es zumindest, zum idealen Gegenstand dramatischer Verarbeitung werden lässt. Seit der Hochzeit der attischen Tragödie sind die Plots um Agamemnon, Klytämnestra, Orest oder Elektra und Jocaste, Ödipus oder Antigone zum Grundbestand des dramatischen Erzählens geworden. Auch an der Oper ist diese Faszination nicht spurlos vorbeigegangen. So gibt es, um den gegebenen Anlass zu nutzen, etwa 30 erhaltene Vertonungen, die sich mit dem Schicksal von Antigone beschäftigen, jener Tochter des Ödipus, die ihren Bruder beerdigt, obwohl es ihr von ihrem Onkel Creonte untersagt worden ist und dafür mit einem grausamen Tode bestraft wird: Sie soll lebendig in einer Gruft eingemauert werden.
Ein solch fatalistisches Ende haben Tommaso Traetta und sein Librettist Marco Coltellini für ihre 1772 uraufgeführte Antigona nicht gewählt, was sich aus den Entstehungsumständen der Reform-Oper erklärt. Dieses Werk entstand nämlich für den Petersburger Hof von Katharina II., die als „die Große“ in die Geschichte eingegangen ist. Sie verlangte von Komponisten, die für ihren Hof komponierten, zwei Bedingungen, nämlich, dass die Opern kurz zu sein haben, und dass sie ein lieto fine, also ein glückliches Ende tragen sollen. In der Fassung von Traetta und Coltellini wird Antigone zwar eingemauert, aber rechtzeitig noch befreit, um ihren geliebten Emone, den Sohn von Creonte, zu heiraten.
Sichtlich suspekt ist dieses Ende dem Regisseur der Produktion an der Wiener Kammeroper, dem Russen Vasily Barkhatov, der mit dieser Arbeit sein Wien-Debüt feiern darf. Er dekonstruiert nicht nur das Ende des Stücks, sondern auch die ganze Oper, aber gerade am Schluss wird dies offenkundig. Antigone, die tatsächlich in eine Gruft eingemauert wird, stirbt in ihr den Erstickungstod und erlebt das Ende der Oper als Fieberwahn einer Sterbenden. Das Finale kommt als ironische Persiflage daher, in dem Antigone in ihrer engen Gruft Besuch bekommt. Zunächst erscheint da ihr Geliebter, um mit ihr unter einer Stoffdecke Sekt zu schlürfen, und schließlich sind auch Creonte und Adrasto Gesellschafter in dem düsteren Grab.
Barkhatov hat aber an diesem Abend noch mehr mit seinem Publikum vor und holt in einem ansehnlichen Einheitsbühnenbild von Zinovy Margolin die Handlung von der Antike in die Moderne. Darin streitet sich eine moderne, in sich zerstrittene Familie in der Grabstätte ihrer Ahnen. Auch hier setzt Barkhatovs Dekonstruktionsfreude an, indem er immer wieder das Licht erlöschen lässt und ein Spiel mit Alternativenden in Verbindung mit den da capo-Arien beginnt, welches allerdings zum Scheitern verurteilt ist, da diese nicht immer nachvollziehbar sind.