Wer kennt sie nicht, die Geschichte des skrupellosen Genussmenschen Don Giovanni, der die Frauen nach Strich und Faden verführt und letztendlich für seine Sünden zur Hölle fährt? Ein Ensemble renommierter Sänger und das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von James Gaffigan machten es sich am vergangenen Sonntag zur Aufgabe, die Oper von Mozart in der Inszenierung von Stephan Kimmig zu erzählen.
Der Regisseur, der für seine gewagt modernen Inszenierungen bekannt ist, lässt den Zuschauer auch hier nicht lange warten: Kaum öffnet sich nach der Ouvertüre der Vorhang, sieht man am vorderen Bühnenrand einen komplett nackten Greis stehen, der die Augen geschlossen hat und am ganzen Leib zittert. Wer ist dieser Mann? Etwa ein gealterter Don Giovanni? Die Vernunft? Der Teufel selbst? Oft tritt er im Verlauf der Oper auf, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben, jedoch immer als externer Betrachter der Handlung. Kimmig gibt bis zum Ende des Stücks keine klaren Antworten in Bezug auf die Identität des Mannes. Warum auch? Durch diesen großen Interpretationsspielraum regt er das Publikum auf alle Fälle zum Nachdenken an.
Ein weiteres Medium Kimmigs war ein Bildschirm, der oben neben der Übertitelanzeige platziert war und in ausgewählten Schlüsselszenen Videos projizierte, die metaphorisch die Handlung unterstützten. Als Beispiel dafür sei das Ende des ersten Akts genannt, nachdem Don Giovanni in seinem Versuch, Zerlina erneut zu verführen, scheitert und sich das Blatt langsam wendet. Während Donna Anna, Don Ottavio, Donna Elvira, Masetto und Zerlina allmählich seine perfiden Taten durchschauen und ihn umzingeln, wird ein Videoausschnitt gezeigt, in dem ein Bison einen Löwen jagt und ihn anschließend zu Boden stürzt. Meiner Meinung nach ist dies eine gelungene und interessante Methode, die Handlung auf einer Metaebene zu kommunizieren.
Bei kaum einem Komponisten sind die einzelnen Persönlichkeiten der Rollen so klar differenziert und facettenreich wie bei Mozart, lassen aber trotzdem einiges an Interpretationsfreiraum. Dies nutzt der Regisseur voll aus: In seiner Inszenierung eröffnet ein fahriger, nervöser Leporello (Alex Esposito) das Drama, gefolgt von einem naturgemäß eitlen und selbstgefälligen Don Giovanni (Erwin Schrott). Die Spannung, die aus den grundverschiedenen Charakteren dieses eigenartigen Paars generiert wird, gibt der ernsten Handlung einen humoristischen Unterton: Oft musste das Publikum über den bemitleidenswerten Leporello schmunzeln, der in seinen fast albernen Versuchen, Don Giovanni zur Besinnung zu bringen, stets kläglich scheitert. Donna Elvira (Véronique Gens), die verlassene Geliebte Don Giovannis, tritt als verwirrte und verzweifelte Mittfünfzigerin in Wanderschuhen, Wanderrucksack und Klapphocker auf die Bühne - wieder ein krasser Gegensatz zu Don Giovanni, dem sie seit ihrer einstigen Liebschaft noch hinterher trauert.