La bohème, Tosca, Madama Butterfly, Turandot – wer den Namen Giacomo Puccini hört, denkt wohl fast immer an die großen italienischen Arien. Eher selten an den Wilden Westen, Revolver und Broadway. Sicher ein Grund, warum sein Spätwerk La fanciulla del West so selten aufgeführt wird. Die Bayerische Staatsoper hat mit einer fulminanten Neuinszenierung von Andreas Dresen gezeigt, dass diese Einschätzung wohl noch einmal überdacht werden muss.
Dresen ist offenkundig kein Freund von Klischees. Statt Saloons, Steppenläufer und dem paffenden Marlboro-Cowboy, setzt der mit vielen Preisen ausgezeichnete deutsche Filmregisseur auf ein Psychodrama im Tatort-Stil. Die Bühne (Mathias Fischer-Dieskau) zeigt ein karges Bergarbeitercamp, welches eher an einen Hochsicherheitstrakt erinnert, der die große Weite des Münchner Bühnenhauses ignoriert und den Blick ganz auf das Zentrum der Handlung konzentriert. Was nach Kleinstadttheater klingt, entpuppt sich schnell als gelungener Schachzug, der Puccinis Stück das Karl-Mai-Pathos nimmt.
Wird hier wirklich Gold geschürft, wie es in Guelfo Civininis und Carlo Zangarinis Libretto zu lesen ist? Es spielt eigentlich keine Rolle, denn nicht zuletzt durch die realitätsnahen Kostüme (Sabine Greunig), wird die Handlung auf sehr überzeugende Weise ins Hier und Jetzt transportiert. Der Dokumentarfilm Workingman’s Death aus dem Jahr 2005, der vom Kohlebergbau bis hin zum Stahlarbeiter Schwerstarbeiter aus aller Welt zeigt, dient als Vorbild und daraus wird kein Hehl gemacht. Auch deswegen verzichtet man wohl auf den englischen Titel The Girl of the Golden West – denn golden ist hier wirklich nichts.
Schon gar nicht Anja Kampe, die an diesem Abend die Hauptrolle sang. Ihre Minnie kommt breitbeinig, in zerrissener Jeans, Boyfriend-Hemd und dicker Gürtelschnalle auf die Bühne geschlurft und hat so gar nix vom keuschen Saloonmädchen. Kampe ist eher eine Rockerbraut und so klang auch ihre Stimme: hart, kalt, spröde. In den Mittellagen tönte das durch und durch überzeugend intensiv, doch in den Höhen wurde es manchmal schrill und scharf.
Gleichwohl changierte sie fabelhaft zwischen der revolvertragenden Herbergsmutter und dem treudoofen Liebchen, die den Minenarbeitern am Sonntag aus der Bibel vorliest. Stimmlich im ersten Akt streckenweise noch etwas schwach, blühte sie im zweiten und dritten Teil des Abends merklich auf und blieb durch ihre grandiose Bühnenpräsenz nachhaltig in Erinnerung.
Brandon Jovanovich stand ihr als Ihr Liebhaber und furchtloser Bandit Dick Johnson zur Seite. Nicht nur das Gold der Minenarbeiter, sondern auch einen ersten Kuss gilt es zu stehlen. Er hatte am stärksten gegen das Orchester zu kämpfen; nicht immer drang sein charmanter und äußerst gefälliger Tenor bis in die letzten Reihen vor.