Es gibt weltliche wie geistliche Textvorlagen, die Komponisten gewissermaßen magisch anziehen. Auf der Seite der weltlichen Texte rangiert ganz oben das Gedicht Du bist wie eine Blume von Heinrich Heine, das, folgt man zuverlässigen Zählungen, fast vierhundert Mal vertont worden sein soll. Von geistlicher Seite wäre hingegen das Ordinarium missae zu nennen, dass seit seiner Kanonifizierung Komponisten aller Couleur in seinen Bann zieht. Seit Guillaume Machauts Zeiten wird es als besondere Aufgabe empfunden, diesen Text in seiner kompletten zyklischen Form zu vertonen.
Ob nun als Messe oder in liturgisch abgewandelter Sonderform als Totenmesse entstanden zahlreiche namhafte Kompositionen. Zwei exemplarische wie auch besondere sakrale Meisterwerke dieser Art waren nun im Wiener Konzerthaus zu hören. Unter der künstlerischen Leitung von François-Xavier Roth präsentierten das Originalklangensemble Les Siècles und die Wiener Singakademie die Grande Messe des Morts von François-Joseph Gossec und die sogenannte Krönungsmesse von Wolfgang Amadé Mozart.
Bei der 1760 entstandenen Grande Messe des Morts handelt es sich um das erste geistliche Werk aus der Feder Gossecs. Doch von Untertreibung ist bei dieser Komposition keine Spur, was Gossec auch über Nacht zum Star am französischen Musikhimmel seiner Zeit machte. Mit diesem Werk ebnete er sich den Weg zu einer über siebzigjährigen Karriere, die er unter verschiedensten Herrschern bestritt und die Werke in allen Kategorien des Musikspektrums mit sich brachte.
Gossecs Requiem-Komposition ist ein überraschendes Werk, welches durchaus die Hand eines jungen und höchst begabten Komponisten verrät, und das sich nicht vor anderen Requiem-Vertonungen zu verstecken braucht. Anders allerdings als beispielsweise das Requiem von Mozart, das unter anderem von Franz Xaver Süßmayr vervollständigt wurde, liegt auf ihm nicht der Schatten eines düsteren Todes, vielmehr scheint es aus tröstlichen Klängen des Hinübergleitens zu bestehen. Es ist, wenn man so möchte, französischer, von mehr Grazie und Lyrik getragen. Diesen Grundtenor aufnehmend gestalteten die Musikerinnen und Musiker von Les Siècles souverän ihr Hausdebüt im Wiener Konzerthaus.
Dies wurde bereits in der dem Requiem vorangestellten Introduzione deutlich. Fein geführte Bläsereinsätze und ein runder Streicherklang prägen den Eindruck des Originalklangensembles, den man während dieser Orchestereinleitung genießen lernen konnte. Einen besonderen orchestralen Höhepunkt markierte mit Sicherheit das Tuba mirum: Hier wurde der Klangapparat noch durch ein Fernorchester, welches leider nur vom Orgelbalkon herab musizierte, ergänzt. Markerschütternd und dennoch mit großer Präzision gestaltete das Orchester diese packende Phrase, wobei sich ein harmonischer Dialog zwischen dem Bühnen- und dem Fernorchester ergab.
Unter den Solisten ist zuallererst Chantal Santon-Jeffery hervorzuheben, die mit ihrer wohl geführten, schönen Sopranstimme zu beeindrucken wusste. Vor allem die opernhaften Arien wie das Exaudi im Introitus oder das Spare in Deo im Offertorium gestaltete sie in einer Interpretation, die durch ihre Einfachheit glänzte. Leider nur wenig zu hören war von der Mezzosopranistin Anaïk Morel, die sich nur als Duettpartnerin von Santon-Jeffery im wunderschönen Lacrimosa präsentieren konnte. Der lyrische Tenor Pascal Bourgeois hingegen hinterließ einen etwas gespaltenen Eindruck. Ganz ohne Zweifel besitzt er einen anmutig schönen Tenor, der allerdings etwas zu klein schien für den großen Saal des Konzerthauses. Über welche stimmliche Kraft er allerdings verfügt, konnte er im Vado et non revertar, der rezitativischen Einleitung des Offertoriums zeigen, die er als eine Art Opernmonolog gestaltete. Jean-Marc Salzmann ergänzte das Solistenensemble mit seinem zupackenden Bariton, der das bereits erwähnte Tuba mirum zu einem der Höhepunkte des Abends werden ließ.