„Symphonie der Tausend“, ein Beiname für seine Achte Symphonie, der Gustav Mahler gar nicht behagte. Dieses Marketing-Plakat wurde dem Werk nach der Uraufführung in München angeheftet, bei der es tatsächlich genau 1030 Mitwirkende gab. Aber Mahler war nicht an Gigantismus gelegen, sondern strebte nach angemessenen Mitteln, um seine Werkidee verwirklichen zu können: ein für ihn im Moment gleich mehrerer schwerster Lebenskrisen gleichsam existentielles Bedürfnis – die Apotheose der Liebe. Hierfür waren die möglichst größte Form und die größten Mitteln nur angemessen, also ein Werk von diesen riesenhaften Ausmaßen, derart Grenzen sprengenden Mitteln und solch überbordenden Klangfülle.
Immer ist eine Aufführung der Achten von Mahler ein besonderes Ereignis, meist angesetzt zu besonderen Anlässen, so wie es der Beginn einer neuen Ära ist. In Luzern begann sie in dieser Festspielsaison mit einer neuen Leitung des Lucerne Festival Orchestra, die nach dem Tod Claudio Abbados im Jahre 2014 und einem Interregnum von Andris Nelsons nun auf Riccardo Chailly übergegangen ist. Chailly hat dieses Werk aber auch bewusst an diesen Moment des Wechsels gesetzt, weil die Achte das einzige Werk von Gustav Mahler ist, das Abbado in Luzern nicht mehr aufführen konnte. So wurde dieses Konzert auf bewegende Art ein Dokument der Erinnerung und des Neuanfangs zugleich.
Und die Aufführung wurde dem im Ganzen sehr gerecht. Als nach spannungsvollen, hochkonzentrierten neunzig Minuten der triumphale Es-Dur-Schlussakkord in der wunderbaren Akustik des Luzerner Konzertsaals verhallte, hielt Chailly den Beifall für Augenblicke zurück – hinein in die Stille des Nachspürens, so wie es auch Abbados Ideal gewesen ist. Dann erst dankte das Publikum den rund 300 Mitwirkenden dieser Aufführung mit stehenden Ovationen.
Diese waren zuerst dem Dirigenten geschuldet, der das Werk in seinen überdimensionalen Ausmaßen mit dem Riesenapparat zu beeindruckender Klarheit strukturierte. Vor allem im extrem polyphonen ersten Teil, dem Hymnus Veni creator spiritus, wo Mahler in der leidenschaftlichen Expressivität eines Allegro impetuoso den schöpferischen Geist regelrecht herbeizwingen lässt, bewirkte Chaillys ordnende Hand wahre Klangwunder; Chöre, Solisten und Orchester blieben selbst in der Doppelfuge am Höhepunkt der Durchführung bewundernswert transparent. Auch wenn die Klangmassen das Hörvermögen zu sprengen drohten, blieb der Klang trotz aller Gewalt Musik, ohne in Getöse auszuarten. Die drei gemischten Chöre sangen kraftvoll und auch beeindruckend homogen. Der Tölzer Knabenchor hob sich mit besonderer Klangfarbe markant heraus. Das abschließende Gloria hinterließ ob seiner Klanggewalt schier grenzenloses Staunen.