Die Gattung Streichquartett erlebte ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert unter Haydn und Mozart, doch es ist keine Übertreibung zu sagen, dass das Arditti Quartett diese jahrhundertealte traditionelle Gattung in der Gegenwart immer wieder aktualisiert. Seitdem der erste Geiger Irvine Arditti das Quartett in den 70er Jahren gründete, hat es sich mutig mit umfangreichen Komponisten aus dem 20. und 21. Jahrhundert auseinandergesetzt und einen großen Beitrag zur Interpretation zeitgenössischer Kompositionen geleistet: Das Quartett befasste sich mit vielerlei neuen Spieltechniken und war sogar schon aus fliegenden Hubschraubern zu hören. Nicht nur in der Szene der Neuen Musik ist das Arditti Quartett infolge seiner großen musikalischen Ausdruckskraft so zu einem weltweiten Superstar aufgestiegen.
Eröffnet wurde der Konzertabend allerdings mit einem Stummfilm, der das Zweite Streichquartett des Komponisten Peter Ablinger präsentierte. In knapp vier Minuten ohne einen einzigen Ton wurde die Erscheinung der Gattung Streichquartett hervorgehoben: Vier iranische Frauen mit Kopftuch halten bewegungslos ihre Streichinstrumente und Bögen weder im gängigen schwarzen Anzug oder Kleid noch auf der Bühne – sondern draußen in der Natur. Es war keine meditative, sondern eher eine bedenkliche Stille mit einer sozialgesellschaftlichen Botschaft.
Das Arditti Quartett schloss danach mit dem Zehnten Streichquartett von Georg Friedrich Haas an, das, ähnlich wie sein Zweites Streichquartett und seine Oper Koma, in vollkommener Dunkelheit aufgeführt wird. Das Fehlen visueller Eindrücke bewirkte erwartungsgemäß, dass man sich viel bewusster auf das Gehörte konzentrierte; man suchte dauernd, die nicht zu sehenden Klangquellen zu orten, und gleichzeitig verschärfte sich insbesondere die Wahrnehmung der dynamischen Prozesse, die in diesem Stück eine bedeutende Rolle spielen.
Das Quartett spielte das 40-minütige Werk von Haas auswendig, traf die Töne präzise mit dem Fingerspitzengefühl der Erfahrung und baute in einer Kombination von Trillern und Glissandi dynamisch nuancierte Klangwellen auf, die durch ein unersättliches Streben nach harmonischem Zusammenspiel geprägt waren. Dazwischen bündelten die Musiker ihre vier Instrumente in der Dunkelheit klanglich so raffiniert, dass trotz der verschärften akustischen Wahrnehmung nicht immer eindeutig war, welches Instrument gerade gespielt wurde.