Es klingt wie ein Traum: Du gehst in Deiner Heimatstadt auf die Musikhochschule, bekommst einen Job als Chordirigent bei einem der städtischen Orchester und bist mit 25 dessen Chefdirigent. Danach machst Du eine internationale Dirigentenkarriere, aber Du bleibst Deiner Heimat und diesem Orchester der ersten Stunde treu. Die Rede ist von Yannick Nézet-Séguin, seit 17 Jahren Chefdirigent des 1981 gegründeten Orchestre Métropolitain aus Montreal. Zurzeit spielt das Orchester seine ersten Konzerte außerhalb Kanadas. Insgesamt sieben Konzerte in drei Ländern stehen auf dem europäischen Tourneeplan. Die beiden mitgebrachten Programme enthalten neben französischen und englischen Komponisten auch jeweils ein Stück eines Komponisten aus Quebec.
Das Programm in Amsterdam begann mit Exil intérieur von Éric Champagne, das er im Jahre 2013 in seiner Zeit als Hauskomponist des Orchestre Métropolitains geschrieben hatte. Champagne, selbst ausgebildeter Klarinettist, beginnt sein Stück mit einem Bassklarinettensolo mit Anklängen an die Einleitung des nachfolgenden Klavierkonzerts. Laute Tuttipassagen wechseln sich mit Soli verschiedener Instrumente ab, Englischhorn, Pauken, Streichquartett und Geige. Viele der Orchesterpassagen ähneln einander, sind durch gleichförmige und einfache Harmonik oft sogar vorhersehbar. Zum ersten Mal wirklich überrascht war ich als die Schlagzeuger Spieldosen gebrauchten. Vier dieser Minidrehorgeln, in voneinander unabhängigen Tempi bespielt, erzeugten einen feinen Klang, der das darüber gespielte Klarinettensolo in ein anderes Licht stellte und etwas Neues ins Spiel brachte. Insgesamt aber fehlte ein interessanter roter Faden in dieser Orchesteretüde, die nicht richtig in das anspruchsvolle Programm zu passen schien.
Der Beginn des Elgar Cellokonzerts dagegen mit dem jungen kanadischen Solisten Stéphane Tétreault ging unter die Haut. Der beeindruckend sensitive Ton, den er seinem Stradivaricello zu entlocken wusste, füllte den großen Saal mühelos. Gestrichene Akkorde, Pizzicati und auch die höchsten Noten kamen warm und elegant vom Podium und wurden vom Orchester angenehm umrahmt. Tétreault besitzt eine ausgefeilte Technik und spielte die Melodiebögen mit unendlich dichtem Legato, aber sein Spiel ging in keinem der vier Sätze über die beschriebene atembenehmende Mühelosigkeit hinaus, nirgendwo erreichte mich eine Phrase tiefer oder eröffneten sich mir neue Perspektiven.