Es ist eine Frage der Grundausrichtung: Stehen die Wiener Philharmoniker für das „klassische“ Repertoire am besten in Wien ein, so steht das ORF Radio-Symphonieorchester Wien für die Werte der klassischen Moderne. Für dieses Repertoire ist das Wiener Spitzenorchester einfach prädestiniert und dies selbst, wenn ihr 2018 scheidender Chefdirigent Cornelius Meister nicht am Pult steht. Eine wiederholte Demonstration dieses Könnens gab der Konzertabend am vergangenen Donnerstag unter der Leitung von Andrey Boreyko.
Schreker, Prokofjew, Mahler und Schostakowitsch schmückten das Programm und es wurde auch wirklich schmuck musiziert. Mit dem Lyrischen allerdings schien Boreyko es an diesem Abend nicht zu haben; dies zeigte sich sowohl bei Franz Schreker Nachtstück aus der Oper Der ferne Klang als auch bei Gustav Mahler Blumine, jenem ursprünglichen zweiten Satz der Ersten Symphonie, die damals noch Titan geheißen hat. Beide Stücke wollten nicht so recht in den gewünschten Fluss kommen, was daran lag, dass Boreyko dazu neigte, die Phrasen immer wieder abzuwinken und so Pausen zu Kunstpausen werden zu lassen. Die weintrunkenen Akkordaufballungen bei Schreker gelangen dadurch etwas zum stehenden Genuss und das galt auch für Mahler. Lob jedoch hat der Solo-Trompeter im Blumine-Satz für sein lyrisch-berührendes Spiel und für eine klangfarbenreiche Interpretation verdient.
Viel überzeugender fiel hingegen der russische Teil des Programms aus. Hier beeindruckte vor allem der Solist des Abends, ein Herr von Nonchalance, Sergej Krylov, im wehenden Hemd mit lyrischem als auch virtuosem Spiel. Schön war vor allem die Arbeit mit einer großen Palette an Klangfarben, die er dem Konzert angedeihen ließ. Zur Tour de Force gestaltete er das Scherzo, indem er die Anweisung Vivacissimo wirklich so ernst nahm, wie Boreyko dies vorgab. Einzig die hervorragenden gespielten Zugaben, je zwei Capriccios von Paganini, wollten zur vorherigen Leistung nicht wirklich passen, aber was ein Virtuose im Kopf hat, das spielt er auch gerne als Zugabe. Chapeau!