Schon beim ersten Blick auf das Programm zu Vadym Kholodenkos Recital fand ich, dass der Pianist das Repertoire für den Abend sehr umsichtig zusammengestellt hatte. Die erste Hälfte begann hochromantisch mit Liszt, baute sich von einem verträumten Prélude auf zum sehr virtuosen Mephisto-Walzer, wechselte dann zu Skrjabin und vollzog da den Übergang von der spätromantischen, technisch einfacheren vierten zur pianistisch und musikalisch anspruchsvollen, post-romantischen fünften Sonate. Auch die zweite Konzerthälfte brachte bei Rachmaninow eine Progression von musikalisch einfacheren Préludes zu den vertrackten, akrobatischen Études-tableaux. In beiden Teilen des Recitals schien sich alles zu einem harmonischen Ganzen, zu einer logischen, dramatischen Entwicklung zusammenzufügen.
Auch innerhalb jedes Stücks erwies sich Kholodenko als feinfühliger, souveräner Gestalter: durchweg harmonisch, organisch war bei ihm der musikalische Fluss, er gestaltete eindrückliche, große Phrasierungsbögen, stellte dabei nie den Virtuosen heraus: Handwerkliches ist bei ihm eine äußerst solide Basis, nie Selbstzweck. Schon seine Haltung am Instrument war unauffällig, Arme und Hände blieben locker, die Tasten oft wie nur streichelnd, er vermied jegliche Show und große, physische Gesten, schien auch das Publikum nur bedingt wahrzunehmen, suchte kaum den Blickkontakt. Musikalisch allerdings, da war große Geste durchaus präsent!
Mich beeindruckte schon das erste Stück des Konzertes, die Liszt-Etüde „Ricordanza“, zu Anfang ganz versonnen-verträumt, im Mittelteil dann auflebend, als wenn sich ein ganzer Vogelschwarm in die Lüfte erheben würde, gefolgt von durchaus heftigen Erinnerungseinbrüchen; dann entschwanden die Gedanken in die Ferne. In der sechsten Etüde drängte sich das Bild einer ehrfurchtgebietenden, riesenhaften Kathedralen-Architektur auf, kulminierend in mühelos dahinsprudelnden Oktavparallelen, tastaturübergreifenden Arpeggien und Tremoli. Ein starker Kontrast danach: die geisterhaft flackernden Irrlichter der fünften Etüde, fast unheimlich rasch, mit bewusst unsteter Agogik, aber nicht feinziseliert, sondern ganz Ausdruck.
Im Sinne des Titels diabolisch-intrikat folgte der Mephistowalzer: explosiv-impulsiv, dazwischen erzählend-bildmalerisch die dialogartigen Sequenzen, eine Flut von Stimmungswechseln in rascher Abfolge bis zum überdrehten Höhepunkt, in dem die ganze Szenerie in den Orkus zu stürzen drohte; dann nochmals ein kurzes, verträumtes Innehalten vor dem dramatischen, aber kurzen Schluss. Skrjabins Op.30 ließ im ersten Satz Debussy oder Ravel anklingen; mir erschien es in seiner Verlorenheit wie ein skizzenhafter Schattenriss. Das Prestissimo volando des zweiten Satzes gestaltete Kholodenko eindrücklich, mit Rubato und Agogik trotz munter synkopierter, pointierter Rhythmen die Versuchungen des allzu Jazzigen vermeidend, ganz spätromantische Tonmalerei. Auch in der einsätzigen Sonate Nr. 5 suchte man ein seichtes Abgleiten in den Jazz vergebens; zu hören war eher ein nahtloser Übergang in die perkussive Rhythmik der Postromantik. Erst gegen Ende, vor der lange ausklingenden fff-Schlusssequenz, erlaubte sich der Pianist dann doch etwas Jazz-Atmosphäre.