Ein Mensch zu sein! Dieser Wunsch eint Hans Christian Andersens Kleine Meerjungfrau, Disneys Arielle und Antonín Dvořáks Rusalka. Dass in dem scheinbar harmlosen Märchen weitaus mehr, und vor allem extremere, Konflikte stecken, als an der Oberfläche erkennbar, wird in tiefenpsychologischen Deutungen klar. Auf der Opernbühne dominierten lange dennoch märchenhafte Inszenierungen von Dvořáks Werk; Sven-Eric Bechtolfs Regie geht einen anderen Weg, indem er eine albtraumhafte Szenerie kreiert, in der er auf jegliche Idylle verzichtet, allzu oft aber auch die innere Logik vermissen lässt.
So wird beispielsweise den ganzen Abend über das Wasser zwar besungen und in der Musik deutlich, zu sehen ist aber Schnee; ebenso problematisch finde ich die parodistische Zeichnung des Hegers und des Küchenjungen, die in ihrer vermeintlichen Komik vor allem im dritten Akt gegen die Musik arbeitet. Die letzte Szene zwischen Rusalka und dem Prinzen gerät dann gar unfreiwillig komisch, wenn Rusalka den lebensmüden Prinz mit einem schwarzen Schal an einen Baumstumpf fesseln muss. Ein Hauptproblem des Bühnenbilds von Rolf Glittenberg, das zwar in seiner Endzeitoptik beeindruckt, ist die starke Räumlichkeit. Sitzt man im Parterre, sieht man die Böden der zwei Ebenen so gut wie gar nicht, von der Galerie aus bekommt man hingegen nicht mit, was sich hinter der Glasscheibe im ersten Stock abspielt. Drastische Wendepunkte der Handlung, etwa die drohende Vergewaltigung in der Hochzeitsnacht – dargestellt durch ein überzeichnetes Ballett während der Polonaise – sowie die zunehmende Kälte und Gleichgültigkeit des Prinzen Rusalka gegenüber, werden lediglich angerissen und erscheinen oberflächlich. In dieser Inszenierung bleibt man daher als Zuschauer von Rusalkas Schicksal emotional weitgehend unberührt.
Ähnliches lässt sich auch über die exzellent besetzte Hauptpaarung des Abends sagen. Obwohl sie stimmlich ein absoluter Volltreffer für diese Partie ist, ließ mich Krassimira Stoyanovas Gestaltung kalt, was aber zugegebenermaßen ein sehr subjektiver Eindruck sein kann. Stoyanova spann feinste Klangfäden und setzte ihren in der Höhe kristallklaren, in der Mittellage angenehm slawisch verhangenen Sopran, wunderbar elegant ein. Sanfte Pianissimi, fließende Bögen in lyrischen Momenten, Durchschlagskraft in den dramatischeren Passagen und traumwandlerische Sicherheit verband sie zu einer durchgehend stimmigen Gestaltung. Von (zumindest anfänglicher) Leidenschaft für den Angebeteten war hingegen darstellerisch wenig zu merken. Und auch Dmytro Popov wirkte als Prinz mehr wie zufällig in die Inszenierung hinein gestellt als ein Teil von ihr. Gesanglich konnte allerdings auch er auf ganzer Linie überzeugen. Sein klar timbrierter Tenor verfügt über einen stählernen Kern, mühelose Höhen und weist schon mehr ins Heldische, denn ins Lyrische. Mit differenzierter Dynamik und farbenreicher Gestaltung verführte und betrog er Rusalka, um sie schließlich mit träumerisch entrückten Phrasen aufzufordern, ihm ewigen Frieden zu schenken. Diese letzte Szene, mit der eingangs schon erwähnten Baum-Fessel-Szene, meisterten Stoyanova und Popov nicht nur stimmlich harmonisch, sondern auch darstellerisch so würdevoll wie möglich.