Thomas Hengelbrock ist berüchtigt für seine Programmmischung, die er seit seinem Amtsantritt beim NDR-Sinfonieorchester kultiviert. Wenn möglich, kombiniert er Bekanntes mit Unbekanntem, sowohl für die Musiker selbst als auch das Publikum, ansonsten jeweils meistens gefangen im sich wiederholenden Repertoirekarussell. Auch durch die Wahl der drei Komponisten, mit denen sich das in NDR Elbphilharmonie Orchester umbenannte Klangteam vor der Eröffnung seines neuen Hamburger Prachtsaals in Essen vorstellte, bewies er eine gleichbleibend interessante Zusammenstellung: Verbindendes mit einer kleinen Aha-Geschichte im Zeichen großer Vorbilder.
Dass Szymanowski von Richard Strauss beeinflusst war, hört man unmittelbar ab Takt eins seiner Konzertouvertüre, die eigentlich eine Tondichtung nach dem Ideal des Don Juan darstellt. Ein überstürzendes, festliches Verve-Wirrwarr mit monströsen Bläsern, Schlagwerk und umherflitzenden Streichern eröffnete das Werk in unverkennbar reminiszierender Weise. Hatte der Komponist mit dieser Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen-Anspielung die Kritiker noch provoziert, rief die Interpretation Hengelbrocks heute schiere Begeisterung hervor. Denn weder die wuchtigen Bläsermassen noch die neuzeitlich-spätromantische Streicherschmökerei boten den Anschein eines mitunter zu bemängelnden angedickten Klangbreis, um dem Vorbild gewollt überladen-profan nachzukommen. Stattdessen sammelte sich in der Transparenz, in der selbst die Harfen zu hören waren, eine kecke, frische Energie, die der Jungendlichkeit und den visionären Ideen der polnischen Künstlerbewegung zupass kamen.
Schließlich wurden mit den kürzeren Sammlungen in kammermusikalischer Form eigene Feinheiten zum Vorschein gebracht, sei es im Mittelteil mit Bratschen- und Bassgruppe, durch die knappen Soli vor sukzessiver Steigerung zum Finale oder mit den vor dem Akkordabschluss durch Pausen unterbrochenen figurierten Spannungsaufwallungen. Diese polychromen Stimmungswechsel und heroisch geladene Feierlichkeit, zu der auch das dramatische Intermezzo von Flöte, Englischhorn, Trompete und Trommel gehörte, gelang völlig unbrüchig. Mit kompaktem, dynamischem Zug sowie ganzem Einsatz der sprudelnden, gestrichenen Salven und Bläserpomp setzten die Musiker zum Auftakt ein fulminantes Ausrufezeichen.
Mit Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert spann Hengelbrock die Verbindungslinie weiter, ist Mozart doch das klassische, klassizistische Vorbild von Strauss. Ebenso wie diese Verzahnung übersetzte das Orchester die aufgetürmte Spannung in eine knackige, gleichsam festliche Darbietung. Das standesgemäß kleinere Ensemble – wie bei Hengelbrock nicht anders zu erwarten nun mit einem Minimum an Vibrato und auf Trompeten der Zeit spielend – leitete es im Wechsel von Kernigkeit und legato-Lieblichkeit so prononciert ein, dass nicht nur die angesprochene Frische weiterströmte, sondern vor allem auch Solist Jan Lisiecki seine herausragenden Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. In Übernahme der Artikulation brachte er mit weichem Ansatz und bei hoher rechter Hand eine fast zerbrechliche Leichtigkeit und Natürlichkeit genauso zum Ausdruck wie das zackig-angefeilte Element des Sturmhaften. In Vertiefung der wunderbar dynamischen Reize vergrub sich Lisiecki in den Tasten; nach seinem Auftauchen aus feuriger Leidenschaft wurde das Orchester seinerseits wieder angestachelt – eine mentale, spielerische und technische Einheit!