Die derzeitigen Umstände sind nicht einfach und wie auch im Barock – wenngleich natürlich unter ganz anderen Gegebenheiten und Motiven – versucht sich der ein oder andere umso mehr, in utopische Gedankenwelten zu flüchten. Eine solche stellte vormals das mythologische Arkadien dar, das aber bei genauerem Hinhören gar nicht so außerweltlich ist, schließlich muss dort auch mal der gute Hirte im Milch-und-Honig-Land den Schmerz über die verpasste Liebe – dies kennt jeder und hat sich über die Jahrhunderte nun einmal wirklich nicht geändert – verarbeiten. Vivaldi lässt die Gefühle in seiner weltlichen Kantate Cessate, omai cessate ertönen, die die Handel and Haydn Society Boston auf das Programm ihres Streams zusammen mit zwei Konzerten des Venezianers setzte, die sowohl von der Wortbedeutung des Concertos (Streit und Zusammenfinden) als auch von der Musikalität her kleinere theatralische Abbilder der großen Oper sind.
Als Solisten kamen dafür die ensemble-eigenen Kräfte infrage, nämlich Cembalist und Organist Ian Watson, Diversity-Direktor, Berater und Countertenor Reginald Mobley sowie Publikumsliebling-Pendant und Konzertmeisterin Aisslinn Nosky. Sie hob den gedanklichen Vorhang mit dem neunten Konzert der L'Estro armonico-Sammlung, als sie im Geigenpart des ersten Allegros mit einer zwar im Tempo nicht übermäßig frischen, aber an rhetorischer Lebhaftigkeit reichen Phrasierung, zusammen mit der klaren Artikulation des Tutti, die eigentlich wunderschöne Atmosphäre dieses arkadischen Sehnsuchtsortes aufziehen ließ. Noskys Spiel federte dabei durch die rhythmische – körperlich und mit dem Bogen praktisch tänzerische – Bewegung, die sich bestimmungsgemäß damit genauso von den Streicherstimmen abhob wie den Klang im Verbund zu einem vollen Bild zu übersetzen, das im fliegenden Leichtgang und mit Betonung in festem, sicherem Rahmen auf die szenischen Bretter gepflanzt wurde. Noch bildhafter und solistisch herausstechender durfte sie im dafür prädestinierten Larghetto die zwitschernden Emissionen eines harmonietrunkenden Naturbewohners zur Allegorisierung des lieblichen Traums durch den Äther schicken, dessen Laute nicht nur wegen des Verzierens und der geforderten Strömungen, sondern zugleich aufgrund der Aufnahmetechnik sinnliche Freude verbreiteten. Das finale Allegro brachte dann die im noch eigens inzidenten Mix von Knackigkeit und weicheren Formen liegenden Facetten von Anziehung, Erweckung und Lebensbejahung zum Ausdruck, das ebenfalls zum disputfreudigen Austausch deutete.