Es begab sich zu einer Zeit, in der Latein noch keine tote Sprache, Gott noch eine Frau und Männer gänzlich überflüssig waren. Das scheint der Ausgangspunkt der Produktion unter Regie von Silvia Costa zu sein, die nach nun fast zwei Jahren pandemiebedingter Verschiebungen endlich an der Staatsoper Stuttgart stattfinden kann. Antonio Vivaldis einziges erhaltenes Oratorium Juditha triumphans, basierend auf der alttestamentarischen Geschichte Judiths, die dem schlafenden feindlichen Feldherrn Holofernes den Kopf mit seinem Schwert abschlägt und dadurch ihr Volk befreit, wurde zu einem der bekanntesten Motive in der bildenden Kunst und durch Vivaldis Werk zusätzlich verbreitet.
Das Oratorium war Auftragswerk der Republik Venedig im Zuge des Siegs über das Osmanische Reich. Dieses Element gibt dem Werk eine weitere Dimension und so wird der siegreiche Kampf des Christentums gegen Andersgläubige zu einem wichtigen Kreisschluss bei Costas Produktion.
Die Inszenierung beginnt im Lager des Holofernes, einem aus weißen Tüchern gestalteten Zelt als zentraler Kriegsschauplatz, in dem die verwundeten Soldatinnen verarztet werden. Über dem Lager prangt ein leuchtender Drudenfuß. Das sogenannte invertierte Pentagramm, ein fünfzackiger Stern mit der Spitze nach unten gerichtet, mag viele Bedeutungen haben – oft assoziiert mit Okkultismus und Satanismus – mitunter aber auch in sowohl antiken, heidnische Kulten als auch neuheidnischen Religionen, wie Neopaganismus und Wicca, zu finden: Gruppierungen, in denen besonders Frauen Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Empowerment fernab patriarchaler Strukturen gefunden haben. Hier scheint das Pentagramm vielmehr wie in der Antike und im Mittelalter zur Abwehr böser Geister und Dämonen zu gelten und symbolisiert hier die aus dem Gleichgewicht geratene Gesellschaft der zu Krieg und Zerstörung aufrufenden assyrischen Kriegerinnen.
Silvia Costas Personenregie ist geprägt von markanten, fest vorgeschriebenen, ritualisierten Bewegungen, die unnatürlich und manchmal äußert befremdlich wirken. Juditha triumphans – ihre erste Opernregie (genau genommen ein Oratorium) – ist in ihrer Bildsprache mystifizierend und in einigen Teilen überaus provokant. Rituale – ob Opferriten oder Fruchtbarkeitsrituale sei dahingestellt – durchsetzen ihre gesamte Inszenierung. Besonders verstörend oder zumindest eigenartig ist eine Geburtszeremonie, die in seiner Feierlichkeit der Enthüllung des Grals gleicht und bei dem ein entmenschlichter Torso (ohne Kopf, Arme und Beine) mit zum Publikum gewandtem Intimbereich unentwegt „Nachkommen“ ausspuckt. Diese sehen ganz und gar nicht wie Neugeborene aus, stattdessen scheinen sie alienhaft als Eier zu schlüpfen. Männer als Samenspender sind in dieser Gemeinschaft wohl nicht mehr von Nöten.
Judith wird im Kreise der assyrischen Kriegerinnen zu einer Art Missionarin und Reformerin. Sie lässt die Riten, die mitunter einem Tanz um den Maibaum zum Mittsommerfest gleichen, über sich ergehen, doch je näher sie ihrem Ziel kommt, desto mehr verschwinden diese Bilder und weichen christlichen Symbolen. Rot als liturgische Farbe des Bluts Christi wird immer präsenter und auch das Pentagramm wird gedreht, um mit der Spitze nach oben den christlichen Gott und die Wunden Jesu zu symbolisieren. Es scheint eine Christianisierung des Morgenlands stattzufinden.