Zu Wilhelm Tell hat das Opernhaus Graz eine besondere Beziehung, wurde das Haus doch 1899, damals noch als Stadttheater, mit Schillers Drama eröffnet. Gioachino Rossinis letzte Oper wurde in Graz zuletzt im Jahre 1918 gespielt, und nach fast hundertjähriger Absenz kehrte sie nun ans Haus zurück. Die Aufführung Rossinis einziger Grand opéra gilt als Herausforderung, die musikalische Umsetzung in der Grazer Oper war eine gelungene.
Zu verdanken ist diese Tatsache vor allem dem Dirigenten Antonino Fogliani. Der Rossini-Spezialist kürzte die in der Originalversion fast fünf Stunden dauernde Oper auf drei Stunden, wobei vor allem das Ballett ausgespart wurde. Schon während der Ouvertüre entwickelte sich ein gewisser Sog, eine Spannung, die vom Orchester ausging und auch im Laufe der Oper nicht nachließ. Fogliani setzte jedoch in keinster Weise auf bloße Knalleffekte, was vor allem bei der Ouvertuüe, die oft sehr polternd daherkommt, angenehm auffiel. Stattdessen entlockte er dem Grazer Philharmonischen Orchester wunderbare Farben, besonders die Celli konnten mit schönen Bögen hervorstechen, und auch die Flötensoli und Waldhörner traten klangschön in den Vordergrund. Weiterhin fiel auf, wie umsichtig und sängerfreundlich Fogliani sein Dirigat gestaltete: Bühne und Graben waren perfekt aufeinander abgestimmt und hielten eine Balance, die besonders in den großen Ensembles beeindruckte.
Auch wenn die Oper nach dem Titelhelden benannt ist, so wäre in diesem Falle eine Betitelung nach Arnold Melchtal ebenso haltbar gewesen: es zwar zweifelsohne Yosep Kangs Abend; er dominierte als Arnold, der zwischen seiner Liebe zum Heimatland und der Liebe zur Habsburger Prinzessin Mathilde hin und her gerissen ist. Er lieferte herrlich strahlende Höhen und eine differenzierte Gestaltung, den Wandel vom verliebten jungen Mann zum enttäuscht-wütenden Rächer seines Vaters vollzog er glänzend und überzeugend. Trotz der hohen Ansprüche der Rolle wirkte Kangs Gesang den ganzen Abend so mühelos und locker, saß jeder Ton so präzise, dass es eine reine Freude war, ihm zuzuhören.
Olesya Golovnevas Mathilde konnte da leider nicht ganz mithalten, denn obwohl sie über eine angenehm warm timbrierte Stimme mit beeindruckend klaren und wohlklingenden Spitzentönen verfügt, wirkte sie an diesem Abend unsicher. Einige Koloraturen gerieten unsauber, zwischendurch stellte sich vor allem in den tieferen Lagen ein etwas störendes Vibrato ein, und sie konnte erst gegen Ende des Abends überzeugen - da aber besonders mit herrlichen Spitzentönen.
James Rutherford konnte seinen Bariton in der Titelrolle schön strömen lassen, überzeugte zwar nicht restlos (zum Teil schon deshalb, weil die Partie des Tell nur begrenzt Gelegenheit gibt, zu zeigen, was man kann), doch die Szene vor dem Apfelschuss gelang Rutherford dank dem nötigen Zorn wirklich packend. Möglicherweise kommt seine Stimme bei Wagner oder Verdi besser zur Geltung, doch in diesem Repertoire blieb er stimmlich wie darstellerisch etwas zu blass, um als Freiheitskämpfer und Volksheld glaubwürdig zu erscheinen.