Die Fünfte Symphonie liegt zusammen mit der Zweiten im Rennen um die attraktivste, beliebteste Symphonie von Sibelius vorn. Mit ihren starken Crescendi und den großstrichig gemalten, ikonenhaften Melodien tut sie sich aus vielen anderen Werken hervor. Sie verwendet im Gegensatz zu ihrem Vorgängerwerk, der Vierten Symphonie, wieder traditionellere Harmonik und Melodik. Beim ersten Hören des Werkes stockte mir an einigen Stellen wirklich der Atem, so eindrucksvoll war die Musik, und ich vermute dass es vielen Lesern ähnlich geht.
Sibelius beendete die Arbeit an der Fünften Symphonie zunächst im Jahr 1915. Sie entstand im Auftrag der Finnischen Regierung und die Uraufführung wurde vom Komponisten selbst an dessen 50. Geburtstag geleitet. Zu dieser Zeit war Sibelius bereits ein bedeutender Mann seines Landes. Die Uraufführung war etwas, das wir heute als Medienereignis bezeichnen würden, mit stundenlangen Begrüßungen davor, „Oh“- und „Ah“-Rufen während der Aufführung. Zufrieden war der Schöpfer mit seinem Werk jedoch nicht, sodass er die Symphonie in den folgenden vier Jahren zweimal revidierte.
Die finale Fassung von 1919 besteht aus drei Sätzen, während die erste Version noch vier Sätze umfasste. Den kurzen zweiten Satz hängte Sibelius bei der Überarbeitung als Scherzo-Abschnitt an den Ersten an, denn schon von Anfang an wurde der zweite Satz als Verlängerung des ersten Satzes wahrgenommen. Auch tauschte der Komponist bei der Überarbeitung Themen mit der gleichzeitig entstehenden Sechsen Symphonie (die ursprünglich als Violinkonzert geplant war) aus. Manche Ideen verschwanden zeitweise in der zweiten Fassung und tauchten später wieder auf. Sibelius wollte mit der Überarbeitung seine eigentliche Aussage der Symphonie auf den Punkt bringen und der ersten Fassung damit mehr Leben einhauchen.
Der erste Satz beginnt langsam und steigert sich dann zu einem schnelleren Tempo, wohingegen im dritten Satz ein umgekehrter Verlauf vom schnellen Beginn zu einem langsamen, majestätischen Finale verfolgt wird. Der zweite Satz ist dagegen eher ungenau umrissen, weder eindeutig langsam noch schnell. Gleich das erste Motiv zu Beginn des ersten Satzes zeigt, dass sich in dieser Symphonie, wie allgemein in Sibelius' Musik, oft Naturbetrachtungen wiederfinden. Die Hornmelodie wird leise begonnen und wirkt dadurch weit entfernt. Die begleitenden Bläser schaffen einen Hintergrund und musikalischen Kontext, der Weite und Tiefe suggeriert. Mir ist dabei, als würde ich über weite, nebelige Wiesen blicken, oder über einen verwunschenen See.
Der Komponist spielt in diesem Werk viel mit Gegensatzpaaren, so gehen zum Beispiel Entwicklungen zu Höhepunkten einher mit Stillstand, Treten auf der Stelle. Letzteres wird im frühen Verlauf des ersten Satzes deutlich, wenn einzelne Bläsermelodien auftauchen, sogleich aber wieder verschwinden, wenn die Streicher flirrende, insektenhafte Hintergrundatmosphäre schaffen. Ich empfinde das als bewussten Verzicht auf geplante Fortentwicklung, eher die zufällige Willkür wie sie in Prozessen der Natur vorkommt. Ganz deutlich und erfahrbar wird das in der Mitte des ersten Satzes, wenn die Streicherbegleitung recht prominente Bewegungen in Sekundabständen spielt, die an den Blick in einen Bienenstock erinnern.
Im späteren Verlauf des ersten Satzes spielt der Komponist dann den Gegenpol zu diesem Mittel der Stagnation aus, die bewusst geführte Entwicklung zu einem Höhepunkt hin. Dies mündet in den laut schwelgenden, fast schon romantischen Bläsermelodien, die dann ausgehen in wieder etwas leiseren, äußerst festlichen Tanzmotiven, das Bild einer großen Ballveranstaltung zeichnend. Diese deutliche Entwicklung geschieht im Detail aber wieder mit stagnierenden Elementen, wenn die Bläser, diesmal im Hintergrund, lange Zeit dynamisch unbestimmte und etwas willkürlich erscheinende Begleitmotive spielen. Sibelius treibt hierin das Ringen zwischen Stillstand und Fortschritt auf die Spitze.