Strings, das Dreifach-Programm des Ballett Zürich, trägt mit Repertoirestücken von William Forsythe und Christian Spuck sowie Chamber Minds, einer Uraufführung von Edward Clug, drei choreographische Handschriften: Verschiedene Streichensembles begleiten die drei Vorstellungen live und machen dieses vielfältige Tanzprogramm auch musikalisch und emotional enorm ansprechend.
Spucks Choreographie das siebte blau (2000) erhält seine Dynamik von Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen, genießt jedoch auch die Injektion mit Musik von György Kurtág und Klanghäppchen aus Flüstern und unverständlichen Satzfragmenten des Stuttgarter Tontechnikers Dieter Fenchel. Spuck, Direktor des Ballett Zürich, nutzt die einfachsten Bewegungen, schlichte Auf- und Abgänge, eine Serie von sich windenden Bewegungen und eine Vielzahl an Paar-Kombinationen, um Schuberts Idee der Einsamkeit zu festigen. In diesem Tableau, in Lichtgeschwindigkeit und makelloser Synchronizität getanzt, werden die Tänzer kaum individualisiert; kein einzelner Körper bekommt mehr Bühnenfokus als ein anderer. Es ist das kollektive Tanzen, das zählt. Jeder von uns – wie Schuberts Mädchen – muss eines Tages sterben.
In der für mich überwältigendsten Szene, in der die Paare über nebligen Grund tanzen, lassen die Herren ihre Partnerinnen abwechselnd in eine Absenkung hinab, die einem Grab gleicht und nur noch ein klein wenig verschiedener Gliedmaßen hervorragen lässt. Dass hier ein Bein, da eine Hand sichtbar ist, bevor eine jede Tänzerin einmal mehr unter die Lebenden tritt, vermittelt ein gespenstisches Gefühl, nicht zuletzt deshalb, weil das muskulöse Ziehen und Schieben der Tänzer einen jeden zuvor so vollends lebendig gemacht hatte. Sie ohrfeigten einander sogar... wenig elegisch. Doch nun stellen die Körper die ganze Bandbreite an Gefühlen dar – Verzweiflung angesichts eines Verlustes, Versuche, ihn zu begründen oder ihn nebensächlich zu behandeln. Immer wieder hält die Kompanie abwechselnd auf der Bühne inne, der eine mit einer Hand an der Hüfte, der andere mit verschränkten Armen, immer mit einem deutlichen Gefühl von „Ich kann es nicht erwarten, bis ich an der Reihe bin.“ Könnte es einen besseren Kommentar zur Unausweichlichkeit des Todes geben? So ist es auch kein Wunder, dass kurz vor dem Vorhang die ganze Menge mit einem donnernd-schrillen Schrei nach vorn stürzt; wer von uns heißt unsere letzte Stunde wirklich willkommen? Die Psychologie des Ganzen war greifbar.
William Forsythes workwithinwork, entstanden 1998, ist das letzte seiner „Ballette über Ballett“. Dem Choreographen ist es gelungen, zur unberechenbaren – und für viele etwas schwierigen – Musik von Luciano Berios Duetti per due violine eine kritische Analyse der traditionellen Regeln des klassischen Tanzes anzufertigen. Durch Neigen, Wenden und Drehen in alle Richtungen scheinen seine Tänzer ebenso unschön. In einer denkwürdigen Szene sehen sich zwei weibliche Tänzerinnen in übertriebenen, ungelenken Posen konfrontiert, ihre steifen und abgewinkelten Oberkörper Metaphern für den sich „zuspitzenden“ Streit. In einer anderen Szene wirft eine Tänzerin, uneins mit der Menge, ihre Hände wieder und wieder von ihrem Körper wie eine ordinäre Waschfrau. Es gibt akrobatische Kämpfe zwischen den Herren, verrutschte Drehungen und Rotationen, die akute Blockaden vermuten lassen, und scheinbar endlose Versuche des Rollens, Anspannens, Streckens und Einschränkens, das gelegentlich verschiedenen Clustern ein beinahe laokoonisches Profil gibt. Manchmal ist das Werk auf der Bühne so auf sich abgestimmt und von sich selbst eingenommen, dass wir, die Zuschauer, nahezu überflüssig scheinen. Da überraschte es nicht, dass das Bühnenbild (ebenfalls Forsythe) praktisch inexistent war: Ein einziges, bühnenbreites Brett etwa zweieinhalb Meter über dem Bühnenboden spielte (vielleicht) darauf an, dass wir alle versuchen, unseren Weg zu „finden“, dass wir alle im gleichen Boot sitzen.