Leipzig hieß das Ziel eines imaginären Ausflugs, auf den das Ensemble amarcord ihr Publikum mitnahm. Die Sänger erwiesen sich als bestens informiert in der Stadtführung, kommen sie doch aus eben dieser musikalischen Metropole. Allesamt Thomaner, sind sie mit dem berühmtesten Leipziger Komponisten so eng verbunden wie – einige hundert Kilometer entfernt - die Bachwoche im mittelfränkischen Ansbach.
Bereits am Vorabend hatten sie „aus Bachs Notenschrank“ musikalische Wurzeln des Thomaskantors beleuchtet. Nun wurden mit „Leipzig und Europa“ die Pole definiert, die sich im langen Leipziger Wirken Bachs entwickelt hatten und mehr als hundert Jahre später von Mendelssohn und seinen Nachfolgern wiederentdeckt wurden. Handelswege und Kulturströmungen kreuzten sich und Leipzig gewann an europäischer Bedeutung. Diese thematisierten amarcord in ihrem klug zusammengestellten Programm.
Im Prunksaal des Ansbacher Schlosses servierten Wolfram Lattke und Robert Pohlers (Tenor), Frank Ozimek (Bariton) sowie Daniel Knauft und Holger Krause (Bass) den entdeckungsfreudigen Mitreisenden vokale Delikatessen zur besten Kaffee-Klatsch-Zeit. Nicht ohne Grund eröffneten sie das Programm mit einem Werk von Carl Reinecke, der Leipzig besonders als Kompositionslehrer und Gewandhaus-Kapellmeister verbunden war. Als Komponist ist er, trotz seines umfangreichen, musikästhetisch aber eher konservativ gehaltenen Oeuvre, in Vergessenheit geraten. Mit Wenn der Frühling kommt machten sie den gutgelaunten Auftakt: beileibe kein einfaches Einsingstück im Erwachen des Lenzes und Toben der Flut. Das erforderte kräftige Stimmfarben, einen schnellen Wechsel zwischen genießerischem Schwingen und forscher Textdeklamation. Sehr plastisch wurde dies dargeboten, absolut textverständlich und in schwelgerischem Verhauchen, wenn nach den brausenden Stürmen die milde Mailuft unter die zahlreichen Zuhörer zu strömen schien.
Auch Max Reger war Kompositionslehrer in Leipzig, später als Reinecke, aber anders als dieser lebenslustig, kauzig, oft extrem in Wesen und Kompositionen. Nach dem virtuosen Beginn dominierte jetzt der eher schlichte Klang, die Stimmführung „im alten Gewand“, die die chromatischen Wendungen in Regers Weisen umso vortrefflicher zur Geltung brachte. Lieblich hat sich gesellet hieß es da oder Ich ging durch einen grasgrünen Wald: hier legten die Sänger die gebotene Zurückhaltung an den Tag, formulierten behutsam, modellierten zart mit atemberaubendem Ausdruck.
Durch ihre Stimmaufteilung steht amarcord ein unendliches Repertoire an Männerchor-Literatur offen. Auch viele Konservatoriums-Schüler trugen zu diesem Fundus bei, der schon von zeitgenössischen Männerchören intensiv genutzt wurde. Aus der langen Schülerliste machte Sveinbjörn Sveinbjörnsson, Schöpfer der isländischen Nationalhymne, den Auftakt mit Du mein Stern, das in Text und romantischer Umsetzung traditionell wirkte. Ähnliche Volkspoesie sind auch die düsteren Sätze des Litauers Mikalojus Čiurlionis: Klagelieder armer Bauersleute, den dunklen Tagesausklang nach harter Feldarbeit besingend, mit dickem Pinselstrich und lang gedehnten Bögen. Da konnten die Sänger die wunderbare Klangverschmelzung ihrer Stimmen zeigen, die vom berückend lyrischen ersten Tenor durch alle Register bruchlos bis in die dunkel-sonore Tiefe des Basses reichte.