Mein Bericht vom diesährigen Bachfest Leipzig kann trotz der Streaming-Möglichkeit des Messias-Schwerpunkts, in dem das Leben Christi im Umfang von dreiunddreißig (teils erheblich gekürzten) Kantaten, den Oratorien und einer Passion bebildert wird, nur ein Ausschnitt sein. Zum Motto „Erlösung“ habe ich mich daher auf den Höhepunkt, Jesu Auferstehung und Himmelfahrt, konzentriert. Nach der Matthäus-Passion im Gewandhaus stand der komprimierte, digitale Festival-Dienstag dabei im eigentlich über vierzig Tage gestreckten Zeichen des Ostergeschehens und der Pfingstankunft. Ständigen Bachfest-Interpreten – die meisten schon aus 2018 zykluserprobt – war es dabei anvertraut, diese musikalisch zu gestalten, so dass die Verkündung der Auferstehungsbotschaft dafür in den Händen des in Kobe gebliebenen Bach Collegiums Japan unter Masaaki Suzuki, der Abschied von den Jüngern in denen des Collegiums 1704 von Václav Luks in St. Nikolai und die Auffahrt in Hans-Christoph Rademanns Geschicken mit der Gaechinger Cantorey in der anderen Hauptkirche St. Thomas lag.
Währenddessen wurden die in Noten gegossenen Erzählungen durch die Rezitation der bibeltextlichen Grundlage in der Fassung Martin Luthers vom überaus geschätzten Schauspieler Ulrich Noethen in der spannenden, väterlich-wissenden Narrationsautorität begleitet, aufgrund derer man – obwohl ja obendrein in der Leipziger Kanzel oder an der Seite der Aufführenden sichtbar – mit gebannter Aufmerksamkeit eines Hörbuchgeschehens lauschte. Allein dies ein Umstand, der die Idee der predigtliturgischen Anreicherung um das zugetragene Dasein von Jesus bar eines gewöhnlich isoliert hintereinander Durchspielens der Werke so bezahlt machte, da sich – ob evangelienfest, religiös oder auch „nur“ musikverliebt – ganz ohne gesprächskonzertante Erklärungsfunktion eines Dirigenten oder vermittelnden Musikwissenschaftlers zweierlei erfahren ließ. Zum einen natürlich, welchen Geschichtsabschnitt Bachs Kantate eigentlich vorträgt beziehungsweise in welchem Kontext sie steht; und zum anderen, mit welchen musikalischen Mitteln Bach sie der Gemeinde in die Ohren zu pflanzen erdachte.
Die Auferstehung ließ der Chor des Bach Collegiums Japan mit dem Choral BWV276 in einem wohltuenden und beruhigenden Gestus erklingen, dem – nach Masato Suzukis Orgelvorspiel Christ lag in Todesbanden – das Wunder und die Auseinandersetzung der Jünger gleichermaßen in der Hinsicht auf die Stirn geschrieben stand, dass sie die Notiz der Engelserscheinung über das Verschwinden Christi Leichnams verifizierend zur Kenntnis nahmen, derweil das Rätselraten über die Tasache an sich und den Verbleib Jesu begann. Sie äußerte sich folgend im theologisch-festlichen Sinfonia-Coro-Erstaunen des Osteroratoriums, das bei aller freilich strikten Klarheit und textverständlichen Produzierbarkeit durchaus beschwingt gestaltet war, während das instrumentale Adagio eben den mildtätig entlastenden Geist der ungeheuren Nachricht atmete. Ihr räumt Bach – und so sieht man im Verlauf immer sein Spiel mit der Drei(einigkeit) – einen triologischen Überbringungsdienst anhand dreier der wunderschönsten Arien ein, in denen unter der abwechselnden Begleitung von drei Holzblasinstrumenten Aki Matsuis warmer und doch silbrig-scharfer, prägnant phrasierender Sopran, Makoto Sakuradas ebenso fließend-gestochener Tenor und Noriyuki Kubos etwas trocken-kühler Altus das Grab in Augenschein nahmen. Dem euphorisch-gewichtigen Bass Toru Kakus oblag letztlich der Aufruf zum Gotteslob, in dem der Chor durchaus jetzt mehr wortbasierte Dramatik und Dynamik hätte entfalten können.
Diese kam, wie erhört, mit dem Orchester des BCJ lautstark zum Einsatz, als die zwanzig Chorstimmen in eminent wunschimperativer Fasslichkeit von Jesu Auftreten in gleichnamiger Kantate Bleib bei uns, denn es will Abend werden erflehten. Die Aufforderung zum kenntlichen Verweilen im Kreise der Jünger wiederholte Sakurada in der energischen Arie nachdrücklich, misslang zuvor nämlich leider die Überredungskunst des Sopranchorals dadurch, dass der selbst das Gesicht verziehende Hidemi Suzuki erhebliche Probleme mit dem Violoncello piccolo hatte.