Nicht nur durch die Lichtchoreographie, die Raphaël Pichon und sein Ensemble Pygmalion in letzter Zeit für ihre Konzerte benutzen, werden die Aufführungen auffällig, spannend und effektvoll in Szene gesetzt, es ist selbstverständlich weiterhin die im Mittelpunkt stehende und noch interessanter wirkende Musik. Insbesondere die Johann Sebastian Bachs, mit der Chor, Orchester und Dirigent nach Essen zurückkehrten in den Schein der Kerzen, diesmal nach den Kantatenzyklen und den Passionen mit dem unübertrefflichen UNESCO-Weltkulturerbe der h-Moll-Messe. Und im natürlichen Flackern des Lichts und dem Klang erstrahlte das Opus summum in vollem, berührendem Glanz.
Doch liegt nach wie vor Vieles im Dunkeln. Eine katholische Missa für einen strengen Lutheraner? Lateinische Messen kennt man von Bach, sie waren auch im protestantischen Gottesdienst gebräuchlich. Dort parodierte er – wie bei der h-Moll-Messe – aus seinen Kantaten beziehungsweise verwendete er Kyrie und Gloria der königlichen Toten-Missa von 1733 für sein vermutliches Spätwerk wieder. Pygmalion hat diese bereits eingespielt und aus jenem Licht betrachtet reminiszierte es mit der bei Trauermusiken erforderlichen Basslaute und -gambe in den instrumentalen Reihen an den Ursprung und die allumfassende Anwendungsmöglichkeit des Stücks. Einzigartig Bach eben von trauriger Gram zu geballtem, extrovertiertem Überwindungstrost! Dies offenbarte das Ensemble in jeder Sequenz, begonnen mit einem schon anzündenden, überwältigenden Eindruck machenden Kyrie, in dem der neunundzwanzigköpfige Chor seine präzise Präsenz, mit flüssig-sehniger Energie sowie markant abgesetzter Stärke durchsetzte Pracht (besonders Sopran I und Tenor) aussandte. So wie der Gesang unterschiedliche und überzeugende Helligkeitsstufen artikulatorischer und dynamischer Art in den Saal warf, präsentierte sich zudem das Orchester mit einer lebendigen Natürlichkeit, starkem Continuo und wunderbaren Oboi d'amore.
Im „Gloria in excelsis Deo” mutierte Thomas Dunfords Theorbe gar zum aufgedrehten Dimmer, der den feierlichen Trompeten- und Paukenschall so regeln konnte, dass die leicht beweglichen Chorstimmen wie der Tanz um ein loderndes Lagerfeuer wirkten, welches sich mit dem „et in terra pax“ allerdings wieder zu einem behaglichen Schimmer legte. Diesen riefen insbesondere die aufkeimenden, Farbe bestimmenden Altstimmen hervor im gebetteten, aber weiter kraftschwemmenden Friedensruf. Hatte Mezzo Léa Desandre zuvor im „Christe-Duett” mit der in gewohnt bestechender Diktionsschärfe und bachgeschulter Phrasierungslebendigkeit alle überstrahlenden Joanne Lunn einen schweren Stand aufgrund ihrer verhalteneren Vortragsweise, kam sie ebenfalls im „Laudamus te” nicht aus sich heraus. In mittleren oder hinteren Reihen musste man schon Ohren eines Lux haben, um ihren seichten, schmucken Ton vernehmen zu können, obwohl sich Sophie Gents sichere, dezente, milde Solovioline sehr zurückhielt. Gedämpft ging es im „Domine Deus” auch zu mit den Streichern, Pizzicato-Bass, zwei Traversflöten sowie dem beschwingten, warmen, anheimelnden Duett Lunns und Emiliano Gonzalez Toros, jedoch hörbar ausdrucksstark, der Tenor sehr wohltuend. Mit dem freundlichen Antlitz der stets durchscheinenden Erlösungshoffnung in der Beschwer des „Qui tollis” trat danach der Chor ergreifend in Erscheinung, der eine verlangende Wucht ausstrahlte, die Lucile Richardot in der Mezzo-Arie „Qui sedes“ unter Jan Moisios weicher Oboe d'amore mit ihrer Aura, ihrem verlockendem Altdunkel, theatralischem, expressiv-variablem Können und ihrer Verständlichkeit aufnahm.