„Es begab sich aber zu der Zeit“, als Marc Minkowski 2003 nach der Eröffnung des neuen Saales seine Premiere im Konzerthaus Dortmund feierte. Eine Spielzeit ohne ihn ist seitdem fast undenkbar. Gleiches Vermissen befällt den Konzertgänger in der Adventszeit, wenn Bachs Weihnachtsoratorium nicht wenigstens einmal zu Gehör kommt. Beide Institutionen, Minkowski und seine Les Musiciens du Louvre Grenoble sowie der Kantatenreigen von Christi Geburt, wurden nun vereint.
Auch wenn das Oratorium wohl bekannt ist, die One-Voice-Per-Part-Besetzungspraxis und schnelle Tempi weiß Gott nicht neu sind, so darf diese Wiedergabe von vier Teilen (sowie des Eröffnungschores des fünften Teils an der halsbrecherischen Grenze zur Spiel- und Singbarkeit als Zugabe), ohne abgedroschen zu klingen, bisher ungehört gewesen sein. Minkowski nahm sich nämlich ganz streng die Orchestermusik zur Grundlage, die seine Louvristen so energisch und muskulös, sinfonisch und theatralisch anstimmten, dass einem die Freude, die die sieben Solisten und vier integrierten Chor-Ripienisten trotz Heraushörens Lenneke Ruitens Soprans erstaunlich ausgewogen und homogen aufzwangen. Die knallenden Paukenschläge, die Trompeten und die hinter dem mittigen Chorensemble späherisch postierten Kontrabässe, Traversflöten und Oboen trübten im „Jauchzet, frohlocket“ noch nicht einmal die Balance, im Gegenteil, die kleinen Verzierungen sprudelten heraus, obwohl stetes Forte verlangt wurde.
Natürlich fielen dadurch die mäßigenden Kontrasteinschübe immer besonders auf, wie gleich das feinere „Dienet dem Höchsten“ der Anfangs, nachdem Minkowski mit seinen fordernden, frischen und großen Bewegungen die Reprise ganz barockoperntypisch noch steigerte, indem er diesmal dynamische Spielereien und weitere Verzierungen zum Vorschein brachte. Rhythmisch straff, selbstbewusst und ohne viel Schnickschnack ließ er das kernige, warme Orchester samt Solooboe Philipp Mahrenholz' und der in wunderbarer Intonation, Klanglichkeit und klarster Verständigung übermittelnde Countertenor Christopher Ainslie das Ereignis verkünden. Mit Markanz und sprühender Pracht jubillierten in „Großer Herr, o starker König“ zudem der hervorragende Trompeter Emmanuel Mure und Bass-Koloss James Brian Platt, der keine Mühe hatte für zwei zu singen, sowohl weich konnte als auch (mehrheitlich) eine ungehobelte Härte (wie die Krippen) nicht verbergen wollte.
Sanft und glänzend wie der Abschluss-Choral des ersten Teils formten Minkowski und die Musiker in Auszahlung des gewählten und verlässlichen Ansatzes die Pastoral-Sinfonia des zweiten Parts, die dadurch – und in der strengen Antiphonie auch der zwei Oboenpaare – äußerst spannend und fließend geriet, mit Betonung der Harmonien, des sowohl Dunklen und der idyllisch-verträumten Sternenklarheit sowie dem wiegenden Fluss. Paul Schweinester erzählte die Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte verständlich, mit lyrischem Einschlag und einer gedämpften Belegung, obwohl gegen eine passendere Dramatik und Leuchtkraft gewiss nichts einzuwenden gewesen wäre. Tenor-Kollege Valerio Contaldo wies mehr Farbigkeit, Leidenschaft und Varianz auf. Sollten in seiner Hirtenarie zwar nicht alle Zweiunddreißigstelfiguren frei von Hakeln herausgehüpft sein, erwies er sich als flinker Bote mit deutlicher Anchor-Qualität.