Gewiss, man mag das Konglomerat aus Händel musikalischer Außergewöhnlichkeit und der seiner Librettisten auch in dessen anderen Opern und Oratorien mit barocken Geschmackstypisierungen bewundern können. Aber warum geht ausgerechnet Belshazzar so deutlich über das Plothafte hinaus? Es sind die raren Besonderheiten, welche eine Heraushebung abseits der stilechten Entwicklung von Händels musikalischem Können italienischen oder englischen Gustos handfest zulassen; begonnen mit der wegen des personendramatischen Inhalts regiegestalteten Form eines Oratoriums auf testamentarischer, aufklärerischer, altertümischer und barock-aktueller Quellengrundlage in dichter Zusammenfassung Charles Jennens'.
Auch wenn einen bei dieser Auflistung der Gedanke an ein gattungstechnisches Mischwerk mit zusammengeschusterter Handlung befallen sollte, die verworrener sein muss als die üblicher Pendants, entstand vielmehr ein überzeugendes Kompendium geistlich-weltlicher Natur. Eines aus Moral und Glaube, messianischer Prophezeiung und historischer Begebenheit im Angesicht des Dramas und Religionsdiskurses zur Zeit Händels. Mit dem sich identifizierenden und reflektierenden Publikum verbindet sich darin Hoffnung der siegreichen Freiheit, des Schutzes oder Trostes. Gefolgt wird das Spezielle von der zeitlichen Komprimierung, die die Gegenüberstellung des nach-nebukadnezarischen Tyrannen Belshazzar mit dem Antipoden Cyrus als vereinfachte Verkörperung dessen an einem einzigen Tag umrahmt, was heute ein Good-Gouvernance-Regent wäre . Außerdem kann ein Musiktheater vor der weltgeschichtlichen Politik, die sich in den damals modernen und prächtigen König- und Kulturreichen des Nahen Ostens abspielt, aktueller kaum sein.
Schließlich schlüpft noch der Chor in die Rolle dreier Nationen. Diese Aufgabe sollte der RIAS Kammerchor unter der Leitung von Ottavio Dantone übernehmen, der er bereits unter René Jacobs nachkam, und zwar präsent und kompakt sowie mit Linien- und Tempoführung. Dass diese in den mit zackigen Ausrufen und rasanten Sechzehntel-Läufen gespickten Nummern nicht immer einfach ist, zeigte sich gleich zu Beginn, als minimale rhythmische Wackler ins Ohr fielen. Abgesehen davon war der Chor den Anforderungen an Wendigkeit und Dramatik stets gewachsen. Dabei verließ er auch in seinen Anrufen mit gewetztem Geschrei nie die gesetzt schönklangliche Kontrolliertheit, mit der er besonders in mahnend-klagenden Stücken mit reichem pastoralem Einschlag überwältigen konnte. Insgesamt bestach der RIAS-Kammerchor konstant mit bekannter Textdeutlichkeit und Transparenz.
Wie beim Chor benötigte auch die Accademia Bizantina eine kurze Einfindung in das Drama,; leicht statische Accompagnati und minimal besetzte Ensemblefülle vermittelten Anfangs den Anschein von Kraftlosigkeit, der jedoch pünktlich zum festlichen Gelage der Handlung der zupackenden Kompaktheit und dynamischer als auch phrasierter Differenziertheit wich, für die Dantones Orchester berüchtigt ist: feurig-seriös, ciacconiert-beschwingt, in Genauigkeit und Zurückhaltung stets zuverlässige Partner. Akkurate Trompeten und Pauken vervollständigten später die typisch farbige Untermalung aus Exzessivität, Festlichkeit, Schlacht und Lobpreis.