„Zurück zur Natur!“ So zeitgeistig das diesjährige Motto der Tage Alter Musik in Herne zur Beleuchtung offensichtlich naturalistischer Auseinandersetzungen in der Musik dient, so leicht lassen sich im Barock die Anklänge Rousseaus Ausspruchs in immer auch früher schon politischen Noten finden. Typischerweise trifft man auf solche in den Erzählungen eines landschaftlich idyllischen Arkadiens, die in Form utopisch menschlicher Friedfertigkeit und Prosperität in der kriegsgebeutelten Welt der Mythologie und Völker herhalten, dem Herrscher im damaligen, reflektierenden Jetzt einerseits zu huldigen sowie ihm und der Gesellschaft andererseits die Hoffnung auf sich besinnende Prinzipiengröße für verheißende Veränderung ins Stammbuch zu schreiben. In Johann Adolf Hasses – wiederum selbst bereits Bote neuer Natürlichkeit – Enea in Caonia bot sich dafür die von Vergils epochaler Irrfahrten-Schilderung inspirierte Begegnung des wundergeplagten römischen Städtegründers und Trojaexilanten mit der von Vater und Sohn Stampiglia ersonnenen Jägerin Ilia an.
Diese neapolitanische Serenata von 1727 spürte – in geübter Tradition zu erklingender italienischer Tonausgrabungen – Musikwissenschaftler Giovanni Andrea Sechi auf, der in Altistin Francesca Ascioti eine Begleiterin fand, diesen Fund recht fürstlich zum Leben zu erwecken. Sie gründete dazu in doppelt und dreifach zielgerichteter Werkidentifikation und Anlassreferenz das römische Enea Barock Orchestra, das das typisch zweiteilige Stück unter Leitung von Stefano Montanari einspielte und nun nach Vorführung in der Heimat zur neuzeitlichen Erstaufführung in Deutschland bringen sollte. Doch war das coronabedingte Verschieben um ein Jahr Schuld, dass Ascioti sowie ihre vier Kolleginnen und Kollegen dieser Ur-Veröffentlichung diesmal nicht zur Verfügung standen, exklusive Paola Valentina Molinari. Daher lernten vier neue Solisten die Partien für jenes Festival, für das es eigens zurück zur Natur hieß. Nämlich zu den Premieren der scheinbar verschwundenen Alten Musik, mit denen Herne auch in Monaten der Coronawirrungen fast wie selbstverständlich wieder seine erbaulichen Markenzeichen setzte.
Eine Marke ist in Hasses Serenata schon Dirigent Montanari, der als geschickter, sich selbst gefallender Verkäufer einer kleinschwesterlichen Miniopern-Rarität mit daher weniger Drama und genrespezifischer Charakterintensität, aber verlässlichem Mitwipp-Nummernbingo die freilich ungeschriebene Rolle einnahm, Hasse als einfühlsamen Piraten das Superstarimage dessen Tage zurückerobern zu lassen. Er tat dies mit einer besonderen, unterhaltenden Lässigkeit, die zum eingängigen, galant-gefälligen Stil des Komponisten passte, wenngleich – dank gefestigter Phrasierungs-, Tempo- und Akzentgrundlagen ohne Gefahr, in bloßer Akzeptabilität oder gar Nachlässigkeit zu kentern – manch theatralischeres oder gesteigertes Ausfechten der CD-Realisation für noch denkwürdigere Affinitätswerbung im Live-Empfinden auf Hernes Bühne wünschenswert gewesen wäre.