Paul Hindemiths Cardillac (Erstfassung 1926) in der Regie von Sven-Erich Bechtolf war bei der Premiere 2010 an der Wiener Staatsoper ein Sensationserfolg und überzeugt immer noch. Golden glänzen nicht nur Werkstatt und Mantel des titelgebenden Goldschmieds im zweiten Akt, sondern auch die musikalischen Leistungen.
E. T. A. Hoffmanns Krimi Das Fräulein von Scuderi aus 1819 spielt im Paris des ausgehenden 17. Jahrhunderts und bedient Lieblingsthemen der deutschen Romantik: die dunkle, obskure Seite des Künstlertums und den Geniekult. Dieser Krimi über einen Goldschmied, der sich von seinen Kunstwerken nicht trennen kann und Raubmord an seinen Käufern begeht, war Inspiration für das Libretto von Ferdinand Lion, welches wiederum von Hindemith genial vertont wurde. Endergebnis dieses epochenüberspannenden Projekts ist ein faszinierender Stilmix aus mechanisch organisierter Musik auf Lions expressiv-verknapptem Text mit seinen romantischen Wurzeln.
Bechtolf zeichnet die Charaktere mit speziellen Bewegungen und hat für das Bühnenbild die richtigen Farben und Symbole gefunden. Nosferatu lässt grüßen, wenn die Schwärze des ersten Bilds, in dem das Volk ob der unheimlichen Mordserie in Unruhe ist, mit weiß geschminkten Gesichtern unter Zylinderhüten kontrastiert, und unerwartet schaurige Schatten auftauchen. Rot ist natürlich die Liebe, welche sich eine namenlose Dame von einem ebenso namenlosen Kavalier mit einem Schmuckstück von Cardillac beweisen lassen will (Cardillac ist der einzige Name in dem Werk, alle anderen Partien sind „Typen“). Der Kavalier kommt zwar zu der mit dem Schmuckstück erkauften Liebesnacht, aber auch zu Tode – und das mit Stil: die Mordszene ist von einem gerafften roten Vorhang gerahmt und zitiert die Ästhetik der Zwanzigerjahre. Beinahe ereilt ein ähnliches Schicksal den Geliebten von Cardillacs Tochter, aber nicht aus väterlicher Eifersucht, sondern weil er wieder einmal ein Schmuckstück zurückholen „muss”.
Klar ist, dass Cardillac kein glückliches Ende haben kann, auch wenn die Verehrung dem toten Genie eine Art ewiges Leben auf Erden beschert. Das gilt natürlich auch für die Opernkomponisten, andererseits lebt gerade die darstellende Kunst auf der Bühne und im Moment, und wunderbare Opernmomente gab es an diesem Abend viele. Dafür sorgte insbesondere ein umwerfendes Vater-Tochter-Duo: Tomasz Konieczny verfügt über eine Stimmgewalt, die keinen Widerspruch duldet, was zu Wotan genauso passt wie zu dem von seinem Werk besessenen Cardillac.