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Meister-Klasse: ein grandioser Cardillac an der Wiener Staatsoper

Por , 08 noviembre 2022

Paul Hindemiths Cardillac (Erstfassung 1926) in der Regie von Sven-Erich Bechtolf war bei der Premiere 2010 an der Wiener Staatsoper ein Sensationserfolg und überzeugt immer noch. Golden glänzen nicht nur Werkstatt und Mantel des titelgebenden Goldschmieds im zweiten Akt, sondern auch die musikalischen Leistungen.

Cardillac
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

E. T. A. Hoffmanns Krimi Das Fräulein von Scuderi aus 1819 spielt im Paris des ausgehenden 17. Jahrhunderts und bedient Lieblingsthemen der deutschen Romantik: die dunkle, obskure Seite des Künstlertums und den Geniekult. Dieser Krimi über einen Goldschmied, der sich von seinen Kunstwerken nicht trennen kann und Raubmord an seinen Käufern begeht, war Inspiration für das Libretto von Ferdinand Lion, welches wiederum von Hindemith genial vertont wurde. Endergebnis dieses epochenüberspannenden Projekts ist ein faszinierender Stilmix aus mechanisch organisierter Musik auf Lions expressiv-verknapptem Text mit seinen romantischen Wurzeln.

Daniel Jenz (Der Kavalier) und Stephanie Houtzeel (Die Dame)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Bechtolf zeichnet die Charaktere mit speziellen Bewegungen und hat für das Bühnenbild die richtigen Farben und Symbole gefunden. Nosferatu lässt grüßen, wenn die Schwärze des ersten Bilds, in dem das Volk ob der unheimlichen Mordserie in Unruhe ist, mit weiß geschminkten Gesichtern unter Zylinderhüten kontrastiert, und unerwartet schaurige Schatten auftauchen. Rot ist natürlich die Liebe, welche sich eine namenlose Dame von einem ebenso namenlosen Kavalier mit einem Schmuckstück von Cardillac beweisen lassen will (Cardillac ist der einzige Name in dem Werk, alle anderen Partien sind „Typen“). Der Kavalier kommt zwar zu der mit dem Schmuckstück erkauften Liebesnacht, aber auch zu Tode – und das mit Stil: die Mordszene ist von einem gerafften roten Vorhang gerahmt und zitiert die Ästhetik der Zwanzigerjahre. Beinahe ereilt ein ähnliches Schicksal den Geliebten von Cardillacs Tochter, aber nicht aus väterlicher Eifersucht, sondern weil er wieder einmal ein Schmuckstück zurückholen „muss”.

Vera-Lotte Boecker (Die Tochter) und Tomasz Konieczny (Cardillac)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Klar ist, dass Cardillac kein glückliches Ende haben kann, auch wenn die Verehrung dem toten Genie eine Art ewiges Leben auf Erden beschert. Das gilt natürlich auch für die Opernkomponisten, andererseits lebt gerade die darstellende Kunst auf der Bühne und im Moment, und wunderbare Opernmomente gab es an diesem Abend viele. Dafür sorgte insbesondere ein umwerfendes Vater-Tochter-Duo: Tomasz Konieczny verfügt über eine Stimmgewalt, die keinen Widerspruch duldet, was zu Wotan genauso passt wie zu dem von seinem Werk besessenen Cardillac.

Vera-Lotte Boecker (Die Tochter) und Herbert Lippert (Der Offizier)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Sängerisch absolut mithalten konnte Vera-Lotte Boecker, die sich als absoluter Glücksfall für das Haus erweist und die Regie-Anforderung, sich wie ferngesteuert zu bewegen, überzeugend erfüllt. Stark auch Herbert Lippert (Einspringer für Gerhard A. Siegel) als Offizier, mit nur geringfügigen Ermüdungserscheinungen. Als zwielichtigen und doch ängstlich-nervöser Goldhändler erlebte man Wolfgang Bankl. Stephanie Houtzeel als Dame absolvierte einen elegant choreographierten Auftritt mit Daniel Jenz als ebenso elegantem Kavalier. Auch stimmlich gelang ihnen alles. Etwas prägnanter hätte Evgeny Solodovnikov den Führer der Prévoté gestalten können.

Vera-Lotte Boecker (Die Tochter) und Tomasz Konieczny (Cardillac)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper

Musikalischer Leiter des Abends war Cornelius Meister, der mit dem Staatsopernorchester eine Glanzleistung lieferte. Meister ist in der Moderne ebenso daheim wie im klassischen Opernbetrieb und bringt daher die idealen Voraussetzungen mit, genau dieses Werk zu dirigieren. Die polyphonen Stellen gelingen ebenso wie die kammermusikalischen Teile, die so feingliedrig und ziseliert sind, wie man sich Cardillacs Schmuckstücke vorstellt. Für die von Musikwissenschaftlern sogenannte „neue Sachlichkeit“, die speziell in diesem Werk als zwingende Kongruenz von Gesehenem und Gehörtem verstanden werden kann, hat Hindemith eine sehr klare, ja barocke Formensprache bis hin zu Fugato und Kanon gewählt, doch ist diese mit modernen Elementen bis hin zu jazziger Rhythmik durchwebt. Das braucht volle Konzentration über rund 90 Minuten ohne Pause, und die hatte auch das Staatsopernorchester. Wieder einmal zeigte sich, dass dieser Klangkörper bei Herausforderungen zur Hochform auflaufen kann, zumal – anders als im Dauer-Repertoire – auch genügend Proben dahinterstecken dürften. Ausgezeichnet auch der Chor, der das Stück mit zwei großen Szenen umrahmt (die Aufregung des Volks um die Mordserie im ersten Akt und die Lynchjustiz an Cardillac im dritten) und auch die Choreographie mühelos bewältigt.

Fazit: großartig.

*****
Sobre nuestra calificación
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“Fazit: großartig.”
Crítica hecha desde Wiener Staatsoper, Viena el 5 noviembre 2022
Hindemith, Cardillac
Wiener Staatsoper
Cornelius Meister, Dirección
Sven-Eric Bechtolf, Dirección de escena
Rolf Glittenberg, Diseño de escena
Marianne Glittenberg, Diseño de vestuario
Jürgen Hoffmann, Diseño de iluminación
Orchestra of the Vienna State Opera
Concert Association Vienna State Opera Chorus
Tomasz Konieczny, Cardillac
Vera-Lotte Boecker, Cardillac's daughter
Herbert Lippert, Officer
Wolfgang Bankl, The gold merchant
Stephanie Houtzeel, The Lady
Daniel Jenz, Knight
Evgeny Solodovnikov, Provost marshal
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