Olga Scheps ist gebürtige Russin, lebt aber seit ihrem sechsten Lebensjahr in Deutschland. Ihr Repertoire erstreckt sich von der Klassik bis in die Spätromantik, und für Ihr Konzert im Rahmen des Meisterzyklus-Konzertes in der Tonhalle hat sie ein ausschließlich russisches Programm zusammengestellt – beste Voraussetzungen für einen spannenden Konzertabend. Allerdings schien sie in diesem Konzert angeschlagen und war deshalb möglicherweise nicht in Bestform.
Das Konzert begann lyrisch, mit Tschaikowskys populärem Zyklus Die Jahreszeiten: zwölf eingängige, aber technisch nicht immer einfache Charakterstücke, mit deren Darbietung ich in diesem Konzert leider nicht durchweg glücklich wurde. Gewiss, die Musik ist wunderschön, abwechslungsreich, und lädt zum Zurücklehnen und Genießen ein, aber ich messe eine Konzertaufführung daran, ob sie den Wünschen des Komponisten (soweit aus der Notation ersichtlich) gerecht wird, und ob die Interpretation die Erwartungen an die Musik erfüllt. Unweigerlich vergleicht man Aufführungen natürlich auch mit denen anderer Künstler, sei es im Konzert oder von Aufnahmen: eine neue, unabhängige Sichtweise „im luftleeren Raum“ ist heute weniger denn je möglich – sie müsste dann schon sehr überzeugend und schlüssig ausfallen.
Olga Scheps spielte das Moderato semplice, ma espressivo überschriebene erste Stück, Januar, relativ rasch, kaum moderato, und mit dem Tempo blieb auch das espressivo auf der Strecke; schnelle Figuren wirkten leicht oberflächlich, beiläufig – eine Beobachtung, die ich auch bei anderen Sätzen dieses Werks machte. Die starken dynamischen Kontraste wollten nicht recht auf das semplice passen, und auch der Tempounterschied zum Meno mosso im Mittelteil war relativ stark. Im März fielen die meisten der Triolen merkwürdig undeutlich aus, und im Juni (Barcarole) wollte sich mir kein Gondelgefühl einstellen: dafür hätte ich mir mehr Agogik, mehr metrische Gestaltung innerhalb eines Taktes gewünscht. Der Mittelteil, Allegro giocoso, war recht energisch statt spielerisch, aber da, wo Tschaikowsky dann energico vorschreibt, fehlte die Energie.
Anderseits gefiel mir der Mai ausgesprochen gut: wunderbar ruhig und lyrisch im Andantino, lieblich, mit weicher Artikulation das Allegretto giocoso des Mittelteils, in welchem auch die Nebenstimmen zu ihrem Recht kamen. Ausgezeichnet war sodann der im ppp zart verklingende Schluss: für mich der Höhepunkt in diesem Zyklus. Ähnlich überzeugend war der sehr fein empfundene Oktober (auch Herbstgesang überschrieben – bei Tschaikowsky wohl eher eine Herbstklage) mit seinen im vierfachen piano ersterbenden Schlusstakten.