Auch wenn es sich nicht so anfühlte: auf dem Programm einer weiteren musikalischen Entdeckungsreise in der Bamberger Konzerthalle standen ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts! Mit der jüngsten dieser Kompositionen begannen die Symphoniker, unter der energiegeladenen Stabführung von Gabriel Feltz, seit Beginn der Saison 2013/14 Generalmusikdirektor der Stadt Dortmund für Oper und Philharmoniker; Feltz war kurzfristig eingesprungen für den erkrankten Fabio Luisi.
„How slow the Wind, how slow the Sea, how late their Feathers be!“ Ein schlichter Dreizeiler der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson, die wegen nachlassender Sehkraft das Briefpapier nur noch mit wenigen großen Worten füllen konnte, ist die Überschrift von Toru Takemitsus viel‑klangfarbiger Komposition, der sich gern in der Fantasiewelt poetischer Texte inspiriert. Das Auftragswerk des Schottischen Kammerorchesters, nun genau 30 Jahre alt, ist ein Spiel mit Nuancen, einer langsamen Durchflechtung der aus sieben Tönen geformten Melodie zu einem Klanggemälde, das sich wie eine Meeresstimmung fast sekündlich verändert. Tiefe Kontrabässe und Violinen plus Flöten, Metallophon und Röhrenglocken in Streicherwogen: Gabriel Feltz ließ mit den 35 Instrumentalisten der Bamberger in unendlicher Ruhe bizarre wie weiche Wellen der changierenden Melodie, glitzernde Klangströme aus langem Atem entstehen.
„Im Aufhören des Handelns kommt man zum Sein und damit zur Essenz.“ Beim Interview der Wiener Presse am Sonntag beschrieb die gefeierte Mezzosopranistin Elisabeth Kulman Gründe für ihren geplanten Rückzug aus dem Konzertleben der Klassik-Branche wie aus dem kräftezehrenden Opernbetrieb. Dabei hatte sie erst 2001 als Pamina an der Wiener Volksoper debütiert; später als Mezzosopran eine echte Explosion ihrer Karriere erlebt: in der Fledermaus ebenso wie in Nikolaus Harnoncourts Da Ponte-Opern von Mozart. Zum Kult wurden ihre Mahler- und Wagner-Auftritte und -Aufnahmen, darunter tief berührende Wesendonck-Lieder mit Norrington in Salzburg.
In der deutschen Literaturgeschichte sticht Friedrich Rückert (1788-1866) als genialer Sprachmeister heraus, dessen ausgeklügelte poetische Konstruktionen sowie Wort- und Sinnspiele Gustav Mahler anzogen, der sich Rückert auch in der Erfahrung von Einsamkeit und Resignation verbunden fühlte. Mit dem 1902 vollendeten Zyklus der Rückert-Lieder hinterließen Elisabeth Kulman und die Bamberger Symphoniker tiefsten Eindruck, wunschloses Glück der Vollendung. Die Augenlider niederschlagen und keinen Blick in die Lieder? Sprachvirtuos wie Rückert zu frühe Sicht in ein neu entstehendes Lied abwehren will, in Neugier gar Verrat wittert. Und wie heiter-liderzwinkernd Kulman die Worte formte, in großen Bogen band, schelmisch den Vergleich zum Honigsammeln der Bienen zog. Linder Duft oder Lindenduft? Rückert lässt es offen, löst erst später auf: im Lindenduft der Liebe linden Duft. Herrliche Vokalfärbungen von Elisabeth Kulman, wenn U und F wie riechbar, in imaginärem Hauch fühlbar erschienen. Liebst du um Schönheit: ihr Minenspiel lächelnd, anziehend, ihre Mezzolage verführerisch im Wunsch immerwährender Liebe. Und dazu butterweiche Streicher der Bamberger, eine hochsensible Hörnergruppe am Ende.