Rameaus Opern auf der Bühne zu hören ist immer noch eine Besonderheit. Zwar hat sich schon viel getan, vor allem auch in Frankreich selbst, wo man sich diese revolutionäre Barockmusik zunächst wieder erschließen musste, doch steht sie für meinen Geschmack weiterhin eher vereinzelt im Rampenlicht weniger Häuser. Erst recht gilt dies für Zoroastre, einem Vorläufer der Zauberflöte, die abermals mit Neuerungen aufwartete. So führte der Komponist als erster in Paris die aus den Chalumeaux neu entstandenen Barockklarinetten in das Original 1749 ein. Er entwickelte die Tragédie in der Konzeption zeitgleich mit dem Ausbau der knappen Chöre und der Beibehaltung der Ballets und Divertissements weiter, wechselte vollends ins orientalische Sujet und verfasste eine programmmusikalische Ouverture späteren Stils anstelle des bisherigen Prologs. Alexis Kossenko, sein Ensemble Les Ambassadeurs – La Grande Ecurie, der Chœur de Chambre de Namur und ausgewiesen exquisite Solisten zeigten das konzertant anlässlich ihrer französisch-belgischen CD-Koproduktion der rekonstruierten Erstfassung mithilfe des Versailler Barockzentrums.
Dass diese tatsächlich nicht die angesprochenen Klarinetten beinhaltete, die extra für Kossenkos Aufführung von Achante et Céphise angefertigt worden waren, gab jedoch keinen Grund zur Enttäuschung. Schließlich bezogen sich musikwissenschaftliche wie ausübende Akteure ganz streng auf die bei der Uraufführung vorliegende Partitur, in der diese Parts noch fehlen. Es wird davon ausgegangen, dass sie erst nach der Drucksetzung im Laufe der Spieltage in der Pariser Oper zur singulären Ergänzung oder als Teilersatz der Oboen eingefügt wurden.
Inhaltlich kann man das Geschehen der Tragödie – die Bebilderung universalen Charakter- und Weltenkonflikts von bondschablonenhaftem Ausmaß – trotz allen Götter- und Geistertreibens ziemlich rudimentär halten: Zoroastre steht als Vertreter des Himmels im handfesten wie stark okkulten Kampf gegen Abramane aus der Unterwelt. Als der barbarische Hohepriester den magischen Helden vertreibt und nach der verschmähten Liebe um Wunschkönigin Amélite diese entführt, kommt es zum Gefecht zwischen den Truppen beider Lager. Die Baktrier, unterstützt von Indern und natürlich dem sagenhaften Volk der Elementarwesen, also das versammelte Gute über alles Böse, gehen daraus als Sieger hervor. Zoroastre, in Personifizierung des Lichts, agiert musikalisch dabei als Haute-Contre mit hohen Instrumentalstimmen (Streicher und Flöten als naturhafte Insignien royal-göttlicher Weis- und menschlicher Verliebtheit), Abramane als brutal-dunkler Vertreter der Finsternis in ausschließlich tiefen Stimmlagen mit entsprechenden Orchesterregionen (Basso mit Fagotten).
Reinoud Van Mechelen praktizierte seine Künste als wirkliche Lichtgestalt mit agentenschicklichem Verhalten bei außen- und innenpolitischer Pflicht, ein wahrer, vertrauensvoller Beschützer und mitleidender, kampfmoralstärkender Anführer eines immer wieder eingeschüchterten Volkes und seiner Magier sowie ein persönlich zärtlicher, doch entschlossener Retter der Liebe! Stimmkräftig in tieferer Wärme und geforderter Theatralik, aber selbstverständlich auch in den sanften Bereichen umsichtig-humaner Höhe entfaltete er die nötige Aura der Verehrung, die das Publikum einnahm. Herzlich hin und weg, einfach von Charme und erfolgreichem Beistand entzückt durfte daher auch Amélite sein. Sie bekam in Jodie Devos eine Sopranstimme, die durch ihr etwas abgedeckeltes Kehlkopftimbre dennoch strahlte, barockphrasierungs- und betonungstechnisch überzeugte. Ihr war das letzte Wort vorbehalten. In höchsten Koloraturbravourien, die der der Zauberflöte in nichts nachstehen, resümierte sie in der Schlussarie den Triumph des flammenden Herzens voller Zuneigung über den Flammen des Hasses.