Pierre-Laurent Aimard begann sein Rezital mit Schuberts letzter, zu Lebzeiten veröffentlichter Sonate in G-Dur, komponiert 1826. Es mag sein, dass der Komponist zu dieser Zeit noch nicht beständig den Tod vor Augen hatte – es ist trotzdem ein Spätwerk des 29(!)-Jährigen. Manche halten diese Sonate für seine formvollendetste, und es gibt Kommentatoren, die behaupten, es sei die Ausnahme einer gänzlich heiteren Sonate. Sicher, die Abgründe, die Brüche liegen hier nicht so offen wie in den posthumen Sonaten; dennoch glaube ich, greift das zu kurz. Schubert hatte kein unbeschwertes Leben, und die Last des irdischen Daseins schimmert in den meisten seiner Kompositionen durch. Ist es nicht so, dass er gerade mit den vollkommensten Werken gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens ankämpfte?
In Aimards Interpretation war jedenfalls von untergründigen Konflikten keine Rede. Selten deuteten sie sich in der Ausführung von Generalpausen momentan an. Praktisch durchweg war sein Spiel dem Schönklang, der vollen Sonorität des Steinway D verpflichtet. Dies kam nicht nur im perfekt kontrollierten Anschlag und dem gepflegten Legato zum Ausdruck, sondern ebenso darin, dass er dynamische Extreme nach Möglichkeit vermied: ppp und pp klangen bestenfalls p (wohl um keine Sonorität preiszugeben?), aber auch fff und ff waren gemäßigt, reizten die Möglichkeiten des Instruments nicht aus. Sicher, Schönheit konnte man der Interpretation nicht absprechen, selbst bei gelegentlicher Überpedalisierung: Aimard gestaltete lange, harmonische Bögen, singende Phrasen, mit perfekter Balance zwischen den Stimmen. Aber ganz so konfliktfrei wie dargeboten ist schon der erste Satz keineswegs: für mich ist die Länge der Sechzehntel-Ketten in der zweiten Hälfte der Exposition, aber auch die Breite der fff-Klimax in der Durchführung ein klares Zeichen von Schuberts Ankämpfen gegen die Widerwärtigkeiten des Daseins.
Anderseits schienen mir die intimen pp-Momente der Klangästhetik zum Opfer zu fallen. Und die Generalpausen in der Coda wurden mit Pedal gänzlich unterdrückt. Sicher, das Andante war ernst, brachte ff-Ausbrüche und Intensität, aber nicht Verzweiflung. Entsprechend konnten auch die kurzen Dur-Kantilenen als Kontrast kaum Wirkung entfalten. Im Menuetto waren die Gegensätze – pp neben ff – ebenso gemildert. Am besten in dieser Sonate gefiel mir das Trio, selbst wenn es nicht ganz ppp war: in seiner wiegenden Agogik kam durchaus Intimität und intensive Reflexion zum Ausdruck. Das abschließende Allegretto nahm Aimard attacca, angesichts der unterschiedlichen Stimmung für mich keine schlüssige Lösung. Trotz Spiel ab Noten unterliefen dem Pianisten hier einige kleinere Missgeschicke, wodurch für den Zuhörer die Kohärenz des Satzes litt. Gerade hier, wo Schubert für mich mit der Länge des Satzes gegen das Schicksal ankämpft! Gesamthaft: eine klassische, mehr denn frühromantische Sicht auf diese Sonate.