Über das „weltstädtische Aussehen“ des Hauses und eine „außerordentliche Sensation“ wurde einst anlässlich der österreichischen Erstaufführung der Salome von der lokalen Presse berichtet. Die Zensurbehörde in Wien hatte im Jahre 1906 eine Aufführung an der Hofoper verhindert und so kam das liberalere Graz zum Zug – für einen Abend wurde die steirische Landeshauptstadt deshalb zum Mittelpunkt der Musikwelt. Richard Strauss höchstpersönlich dirigierte den Premierenabend; Giacomo Puccini, Alma und Gustav Mahler, Alban Berg und Arnold Schönberg waren im Publikum und wochenlang waren die Vorbereitungen für den Abend das Stadtgespräch schlechthin. Komponist und Werk wurden schließlich frenetisch bejubelt, zu lesen war in den Kritiken aber auch über einen „Nervenchoc“ beim Tanz der sieben Schleier und „viele, die den Anblick nicht ertrugen“, als Salome den abgeschlagenen Kopf des Jochanaan küsste. 112 Jahre sind seither vergangen, nun kehrt Strauss' Salome an die Grazer Oper in einer neuen Produktion zurück. Mittlerweile sorgt das Werk zwar – zumindest in unseren Breiten – für keinen Skandal mehr, jedoch immer noch für einen packenden Opernabend.
Die Inszenierung von Florentine Klepper wirkt – trotz ihrer präzisen Personenregie – stellenweise ein bisschen gar plakativ; omnipräsente Glaswände und Kameras sollen die oft besungenen Blicke verdeutlichen und dass am Ende dann noch ein Salome-Double demonstrativ mit ihrem eigenen, abgeschlagenen Kopf auf die Bühne kommt, hätte nicht unbedingt sein müssen. Über weite Strecken funktioniert diese kühle Inszenierung – das Bühnenbild wirkt wie ein ultramodernes Poolhaus – aber sehr gut. Ihre stärksten Bilder hat sie außerdem gerade in den Momenten der Andeutung, wenn die sich abspielenden Schrecken der Phantasie des Publikums überlassen werden, wie etwa beim Tanz der sieben Schleier, der sich hinter geschlossenen Gardinen abspielt.
Ein beeindruckendes Rollendebüt gelang Johanni van Oostrum, die sich nach einem vorsichtigen Start bis zum großen Finale stetig steigerte und sich in ihrer Schlussszene regelrecht in einen ekstatischen Rauschzustand sang. In den tiefen Lagen verliert die Stimme zwar an Tragfähigkeit, in der Mittellage und den Höhen blüht ihr Sopran dagegen wunderbar auf und verlieh der Figur einen Mix aus gelangweilter Trotzigkeit und purem Wahnsinn. Auch darstellerisch warf sich van Oostrum voll in die Partie und zeichnete das Bild einer jungen Frau, die in einem Umfeld aus Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt groß geworden ist und nun ihrerseits diese Verhaltensmuster an einem „Untergebenen“ genüsslich auslebt.
Der so als Opfer ausgenutzte Prophet Jochanaan wurde von Thomas Gazheli stimmgewaltig polternd und bisweilen gar brachial als religiöser Fanatiker porträtiert, wodurch der Eindruck entstand, dass in diesem biblischen Mikrokosmos ausschließlich Wahnsinnige existieren. Leider ging dadurch jedoch auch der Kontrast zwischen der Härte von Herodes Herrschaft und der Wärme in Jochanaans Musik oft verloren; gleiches gilt für die Gestaltung von Gazheli, dem ein paar Nuancen und Klangfarben mehr nicht geschadet hätten.