Mit einem ungewöhnlichen Schostakowitsch-Abend lockten die Nürnberger Philharmoniker Musikliebhaber zahlreich in die Meistersingerhalle. Und der Mut zahlte sich aus, denn ein dramaturgisch geschickt aufgebautes Programm und ausgezeichnete Ausführende hinterließen tiefen Eindruck beim Publikum. Dabei hatte es in der Vorbereitungszeit unerwartete Aufregung gegeben, da der ursprünglich eingeladene Gastdirigent Leonid Grin, der Schostakowitsch noch persönlich kennengelernt hatte, krankheitsbedingt absagen musste. Doch mit Eckehard Stier konnte kurzfristig eine Schostakowitsch-erfahrene Neubesetzung gefunden werden.
„Lärm der Zeit“ war der Titel des Philharmonischen Konzerts, und dieser Lärm hat die Lebensgeschichte nur weniger Künstler so geprägt wie die Dmitrij Schostakowitschs, der als prominenter Komponist Bürgerkrieg, den Aufstieg Stalins, Weltkrieg und Entstalinisierung miterlebt hatte. So sind in allen Werken des Abends kulturpolitische Einflüsse sowie persönliche Beeinträchtigungen des Komponisten als Zeitzeuge oder unmittelbar Betroffener zu finden.
Im selten gespielten Frühwerk Das goldene Zeitalter erlebt eine sowjetische Sportgruppe im kapitalistischen Ausland laszive Dekadenz und korrupten Kapitalismus und schließt unerschüttert mit den westlichen Werktätigen einen solidarischen Pakt. Schostakowitsch, erst 24 Jahre alt und erfolgreicher Kulturschaffender, machte aus seiner Begeisterung für westliche Musik keinen Hehl und würzte die Sätze mit Rhythmen von American Jazz, Charleston und Polka. Nachdem die Funktionäre diese Musik ins Vergessen schickten, erstellte Schostakowitsch selbst eine humorvolle viersätzige Suite, die bereits den virtuosen Geist seiner späteren Jazz-Suiten vorausahnen lässt. Eckehard Stier machte diese Musik, die mit Augenzwinkern vor tief-ideologischem Hintergrund eine andere Botschaft zwischen den Notenzeilen lesen lässt, sichtlich Spaß. Er modellierte das clownesk-maskenhafte der Musik selbst mit Schulter und Hüfte. Mit lebhafter Gestik des ganzen Körpers animierte er das Orchester, seine Qualitäten als Jazz-, Kirmes- und Tanzmusiker unter Beweis zu stellen. Die Funken sprühten von allen Pulten der Philharmonie und die Begeisterung steckte spätestens in den schräg-persiflierenden Polkarhythmen des dritten Satzes hörbar das Publikum an.
Zehn Jahre später hatte Schostakowitschs Karriere bereits einen Knick hinter sich. Bei den Hardlinern des Sozialistischen Realismus in Ungnade gefallen, hatte er als Reaktion in seiner Fünften Symphonie traditionelle musikalische Formen zur Darstellung von Lebensfreude und Optimismus gewählt und für seine Sechste ein pathetisches Lenin-Gedenken angekündigt. Schwierigkeiten bei der Vertonung des ausgewählten Gedichts von Majakowski führten dazu, dass Schostakowitsch 1939 eine völlig andersartige Symphonie vorlegte: ein nur dreisätziges Werk, das mit einem großangelegten Adagio Mahlerschen Ausmaßes eröffnet. Eckehard Stier und die Philharmoniker begannen mit einem satten, sonoren Lamento-Bogen der tiefen Streicher, zu denen sich langsam die hohen Streicher und Bläser gesellten. Aufwühlend in mächtigen Tutti mit umfangreichem Schlagwerk und starken Blechbläsern wurde der Klangraum mit kräftigen Pinselstrichen ausgemalt. Im Kontrast dazu nahmen kammermusikalisch aufgebrochene Abschnitte mit beeindruckenden Soloszenen der Flöten, Oboen und des Saxophons für eine völlig andere musikalische Welt gefangen. Kein Tschaikowsky-Pathos war da zu hören, sondern eher Aufschrecken und subversive Spannung, die sich im Orchester machtvoll entlud. Die beiden folgenden Sätze wirkten im Gegensatz dazu fast grotesk, wenn im Allegro Trauerstimmung zersetzt wird von schrill kreischenden Klarinetten, hartem Schlagzeug und messerscharfen Streicherkaskaden. Dies übertrafen Eckehard Stier und das Orchester noch im Presto-Galopp, wo Lärm die Harmonie der Welt ist: im schnellen Wechsel zwischen an Prokofjew gemahnender scheinbar neo-klassizistischer Banalität und attackierenden polemisch wirkenden Dissonanzen.