Es sind Peter Konwitschny-Tage am Staatstheater Nürnberg: nach einer von Publikum und Presse gefeierten Inszenierung der Soldaten von Bernd Alois Zimmermann stand nun eine Wiederaufnahme seiner Produktion von Giuseppe Verdis La traviata am Programm, die nach Graz und der ENO in Nürnberg 2012 eingerichtet worden und zwischenzeitlich auch in Wien und Seattle zu sehen war. Herkömmliche Inszenierungen dieser Erfolgsoper bebildern gern das Leben einer vergnügungssüchtigen Pariser Genuss-Gesellschaft des 19. Jahrhunderts; spätestens in der weltweit beachteten Salzburger Inszenierung durch Willy Decker, der 2005 die Handlung in ein geradezu bläulich-kaltes geometrisches Bühnenbild mit wenigen Accessoires packte, entdeckte man den Reiz der Fokussierung auf den Seelenzustand weniger Hauptpersonen, ohne das ausstatterische Beiwerk zu vermissen.
In Nürnberg (Bühne und Kostüme: Johannes Leiacker) öffnete sich der Vorhang und gab den Blick frei auf weitere bordeaux-rötliche Stoffbahnen, die im Verlauf den zeitlos schwarzen Bühnenraum einengen oder vergrößern und farblich prägen. So sind es ein einzelner schwarzer Bistrostuhl und diese wallenden Schleier, die in Erinnerung bleiben, die leicht-fließend Perspektiven öffnen, Figuren verschwinden lassen, Handlung weich umhüllen oder zudecken, wärmende Energie wiedergeben. Konwitschnys konzentrierter Blick auf Emotionen und innere Zweifel wurde vom Publikum begeistert akklamiert.
Noch elegisch zart begann das Vorspiel, wo sich in flirrend feinen Streicherakkorden schon Krankheit und Verletzlichkeit der Violetta Valéry, der im Operntitel charakterisierten Pariser Lebedame, andeuten. Mit dem ersten Bild aber, wenn Smoking-tragende Partygänger und scheinbare Freunde in ihren Salon zur irrwitzigen Feier einfallen, ließ Jan Croonenbroeck, musikalischer Leiter des Abends, die Schleusen öffnen und Verdis Musik, in äußerster Dramatik aufgepeitscht, die Handlung ausfüllen. Auch der Opern-Chor war von Taamo Vaask prächtig einstudiert und spielte offensichtlich mit Genuss diesen Karneval der Kavaliere und Konkubinen. Beide, Chor wie Orchester – unter der Leitung von Jan Croonenbroeck – blieben danach oft zu wuchtig, in der Lautstärke vordergründig, ließen wenig Raum für Zwischentöne und das Ausmalen der Abgründe, wo der studierte unbedarfte Außenseiter und die großstädtische, von Schwindsucht geschwächte Halbweltdame aufeinander treffen und sich verlieben.
Margareta Klobučar, viele Jahre im Ensemble der Oper Graz und mit Konwitschnys Inszenierung vertraut, hatte als Gast die Rolle der Violetta übernommen. Sie brachte für die so gegensätzlichen Rollenportraits von Verdis Heldin die jeweils erforderliche Präsenz mit: dramatische Ausbrüche und Koloraturfähigkeit für Ängste und Gefühlsschwankungen, aber auch lyrische Beseeltheit angesichts der Unerbittlichkeit ihrer Krankheit. Eigentlich gehört Alfredo Germont nicht in diese Welt der Salons und Ausschweifungen; sein Outfit mit Strickjacke und Cordhose, sein linkisches, geradezu gehemmtes Auftreten machen ihn eher zum Gespött der Feiernden. Alex Kim gestaltete den Wandel von schüchterner Liebe zu eifersüchtiger Auseinandersetzung in kraftvollem metallisch gefärbtem Tenor mühelos, teils mit zu viel Stimmvolumen, wenn er später aus dem seitlichen Parkett heraus seine Wut über Violettas Rückkehr nach Paris herausschleuderte.