Der Gedenktag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz jährt sich dieses Jahr zum 74. Mal und während die Zahl der überlebenden Opfer des Holocausts immer geringer wird und aus der Zeitgeschichte bald Geschichte wird, ist eine angemessene Erinnerungskultur umso wichtiger. Die Theater und Philharmonie Thüringen riefen daher die Reihe „Wider das Vergessen“ ins Leben, um mit vier Werken an die Schrecken des NS-Regimes zu erinnern.
Die Passagierin handelt von Schuld und der Unmöglichkeit, diese zu Verdrängen; vom Erinnern und von der Verantwortung der Nachfolgegenerationen. Das Bühnenbild, verortet auf ein vordergründig blitzblank poliertes Kreuzfahrtschiff, mit weißem Treppenlabyrinth und wohlhabenden Gästen am Außendeck, deren auf der Überfahrt nach Brasilien reichlich Cocktails und gute Laune verabreicht werden. Dahinter tun sich jedoch die Abgründe des Vernichtungslagers Auschwitz auf. Kalte, kahle Metallwände, gleißendes Licht und die einschüchternde und trostlose Atmosphäre des Gefangenseins. Das Bühnenbild schafft entlang der Erzählstruktur der Oper eine Zweiteilung – ein Außen und Innen, ein Oben und Unten zwischen Gut und Böse und Tätern und Opfern.
Kay Kuntze belehrt mit seiner Inszenierung nicht, sondern er erzählt die Geschichte der Oper in eindrucksvollen Bildern. Die Szenen im Lager werden absolut wirklichkeitsnah erzählt. Zudem wird die Oper in ihrer siebensprachigen Fassung zu einem multilingualen Ereignis, die das Leben im Lager umso erfahrbarer und eindringlicher gestalten.
Die Oper handelt vom Wiedersehen zweier Frauen, deren Schicksal durch Auschwitz auf ewig verbunden zu sein scheint. Lisa, eine ehemalige KZ-Aufseherin, die mit ihrem Ehemann auswandert, um ihre Vergangenheit hinter sich zu verlassen, trifft auf Marta. Die Polin war nicht nur ihre Gefangene im Lager, sondern auch eine Art Begünstigte, ein Liebling Lisas. Sie begegnet Marta überall auf dem Schiff, versucht sich jedoch mit dem Gedanken zu beruhigen, dass Marta das KZ keinesfalls überlebt haben kann.
Die sorglose Überfahrt wird für Lisa zur psychischen Folter. Dennoch bleibt sie uneinsichtig, was symbolisch für die Schuldfrage steht. Sie ist sich auch Jahre nach ihrer Zeit als KZ-Aufseherin keiner Schuld bewusst und rechtfertigt ihr Handeln als das jegliche Ausführen von Befehlen. Annette Schönmüller porträtiert Lisa als eine kaltblütige, berechnende Deutsche, die ganz hinter der NS-Ideologie steht und trotz kalkulierender Berechnung Dankbarkeit von den Insassinnen fordert. Die Mezzosopranistin war mit einer stechenden Prägnanz in ihrer Stimme bravourös in dieser Rolle und wurde den enormen stimmlichen Anforderungen gerecht. Der Tenor János Ocsovai bot als Ehemann Walter trotz seiner recht kleinen Stimme schöne, helle Klangfarben und eine durchweg deutliche Aussprache.
Die Bilder im KZ schildern eingehend und emotional die Geschichte der jungen Marta und ihrer Mitinsassinnen – es sind introspektive Erinnerungsszenen Lisas. Und Marta, die während ihrer Auftritte auf dem Schiff stumm bleibt, findet in den Szenen im Lager auch stimmlichen Ausdruck. Anne Preuß’ lyrische Stimme trifft den Nerv ihrer Rolle bis ins Mark. Zart, einfühlsam und traurig gestaltete sie Marta, jedoch nicht ohne eine gewisse Hoffnung in die Stimme zu legen. Die Sopranistin lieferte eine gesanglich durchweg berührende, geradezu erschütternde Darstellung ab.