Endlich ist es wieder soweit: Christoph Willibald Glucks Tragédie en musique Alceste kehrt nach der Premiere im Jahr 2012 wieder an die Wiener Staatsoper zurück. In dieser ersten Neuinszenierung seit 1953 (!) lässt Christof Loy die Oper nicht im fernen Thessalien spielen, sondern in einem Kinderzimmer des großbürgerlichen Zeitalters. Ein gewagter Versuch einer Revitalisierung, gewiss. Worüber aber nur wenig Zweifel bestehend kann ist die überragende Leistung der in der Titelrolle agierenden Véronique Gens und den Hausdebütanten des Abends, dem Ensemble Les Talens Lyriques unter Christoph Rousset.
Christof Loy hat eine so einfache wie berückende Lösung gewählt, die große französische Operntragödie, die ursprünglich eine sogenannte italienische Reformoper war, auf die Bühne zu bringen. Er nimmt den oft von Admète gebrauchten Ausruf „Meine Kinder...“ ernst und verlegt die Handlung in ein großbürgerliches Zimmer des ausgehenden 19. Jahrhunderts (Bühne: Dirk Becker). Der Chor schlüpft dabei nicht als Volk von Freien, sondern tatsächlich als Kinder in Kinderkleidung dieser Zeit (Kostüme: Ursula Renzenbrink) und durchlebt die Handlung als die zahlreiche Kinderschar von Alceste und Admète.
Das großbürgerliche Elternpaar, der nette Onkel von nebenan mit dem Namen Hercule sowie der geheimnisvolle, da die Kinder verängstigende Priester sind vom singenden Personal die einzigen, die der Welt der Erwachsenen zugehörig sind. Eine putzige Regieidee, die über den Abend, mit Ausnahme vielleicht der Schlussszene, schlüssig aufgeht. Warum sich das hohe Paar und ihre zahlreiche Kinderschar während der Schluss-Chaconne in einen dunklen Raum hinter der allgegenwärtigen Schiebetüre verlieren müssen, die das Zimmer vom Schlafzimmer der Eltern oder vom Wintergarten sowie von einem Dachboden als Höhle trennt, muss der individuellen Lesart überlassen bleiben.
Die Krone des Abends gebührt zweifelsohne der Titelheldin. Seit der Premierenserie im Jahr 2012, die der Verfasser dieser Zeilen ebenfalls besucht hat, ist Véronique Gens noch mehr mit der Rolle verwachsen. Sie präsentierte sich als übermenschlich leidende Heldin, so wie eine Tragédie lyrique es von ihren Heldinnen und Helden verlangt. Dabei erwies sich Gens darstellerisch wie sängerisch als Vollbluttragödin und setzte einen ersten Höhepunkt mit ihrer Arie „Divinités du Styx“ am Ende des ersten Aktes. Die verschiedenen Affekte dieser Arie wusste sie stets richtig zu treffen und musste dabei auch keinerlei Angst vor den Höhen und vor allen Dingen den Tiefen der Tessitura haben. Sensibel begleitet von Les Talens Lyriques schwebte sie mit ihrer reinen, sehr lyrischen Stimme, die aber auch zu den notwendigen dramatischen Ausbrüchen fähig ist, geradezu durch ihre Partie.