Was macht ein ansprechendes Konzertprogramm aus? Der Dirigent muss eine Affinität zu den Komponisten haben, diese müssen das Publikum ansprechen und die Solistin muss strahlen können. Mit Tschaikowsky hat man das Publikum schnell interessiert und wenn noch ein international bekannter Bühnenstar vom Schlage einer Eva-Maria Westbroek hinzukommt, dann ist selbst die Programmierung eines Komponisten wie Samuel Barber kein Risiko mehr. Denn welche Werke von Barber kennt man, neben dem Adagio aus seinem Streichquartett und vielleicht noch seinem Violinkonzert?
Da gibt es zum Beispiel seine Ouverture zu The School for Scandal, ein groß besetztes Werk voller hochromantischer Motive, in der außer wohlgefälliger amerikanischer Harmonik keine erneuernden Stilelemente zu entdecken waren. Dirigent Gustavo Gimeno, vor Jahren noch Schlagzeuger im Royal Concertgebouw Orchestra, dirigierte das Stück zu Beginn mit sehr eckigen Bewegungen. Bis auf ein wunderbar warmblütiges Englischhorn-Solo machte das von Barber zum Abschluss seines Studiums geschriebene Stück aber keinen bleibenden Eindruck.
Eva-Maria Westbroek, die in dieser Saison Artist in Residence beim RCO ist, spannte in den drei von ihr ausgesuchten Stücke Barbers den Bogen von einer melancholischen Rückschau auf glückliche Jugendtage, über das ängstliche Liebesgeständnis einer reifen Frau bis zum dramatischen Selbstmord von Cleopatra. In all diesen unterschiedlichen Rollen fühlte sich Westbroek sichtlich wohl und gab der jeweiligen Musik genau die Emotionalität, die dazu passte.
In Knoxville: Summer of 1915 beschreibt der amerikanische Dichter James Agee in poetischer Sprache einen Sommerabend aus seiner Jugend in Tennessee – „A horse, drawing a buggy, breaking his hollow iron music on the asphalt… The stars are wide and alive, they seem each like a smile of great sweetness, and they seem very near.” Bei der Vertonung dieser sensuellen Sprache gelang Barber eine sehr persönliche Musik, die sich perfekt um die Worte schmiegte und das melancholische Heimweh nach unwiederbringlich Vergangenem einfühlbar zum Klingen brachte.
Vanessa ist die erste Oper von Barber, zu einem Libretto seines Lebenspartners, des Komponisten Gian Carlo Menotti. „Do not utter a word” ist die dramatische Liebeserklärung einer älteren Frau, die nach 25 Jahren ihren Liebhaber wiederzutreffen glaubt. In Wirklichkeit ist er jedoch dessen Sohn. Westbroek spielte in dieser ersten Arie nach der Pause nicht nur eine in der Vergangenheit lebende Frau, in ihrer Stimme klang auch die verzweifelte Bitterkeit um all die verlorenen Jahre des Wartens und die Angst erneuter Abweisung ihrer nie erloschenen Liebe. Barbers melancholische Melodielinien wurden von Westbroek mit genau dosiertem Vibrato und sehr gut verständlicher Aussprache gesungen und diese transformierten so zu einer mitfühlenden Erzählung.