Gelang und gelingt der Leipziger Lobgesang des Monteverdi Choir in der Verknüpfung Bach-Mendelssohn (und Luther) mühelos, so ist die Kombination Beethoven und Mendelssohn beim Bonner Festival genauso offenkundig und ideal. Offenkundig deshalb, weil zum einen die sogenannte Symphonie-Kantate Mendelssohns in der konzeptionellen und revolutionären Nachfolge des großen Vorbilds steht und wie zahlreiche Werke Beethovens, so auch die dritte Leonoren-Ouvertüre, in Leipzig 1840 unter der Leitung des Gewandhauskapellmeisters erklang - womit der doppelte Bogen zu Leipzig geschlagen wird. Zum anderen und im Besonderen ergibt sich die Idealkombination durch die Interpreten, die werkimmanent-feierlich ihren symphonischen Zyklus beschließen, welcher bereits größtenteils in Bonn zu erleben war.
Der Beethoven-Abschnitt des Abends passte dabei ebenfalls schon in sich, war doch die letzte und große Ouvertüre zu Leonore sozusagen ein dramatischer Auftakt ohne Worte. Wie bei Sir John Eliot Gardiner typisch, bewirkte er diesen Eindruck durch die berüchtigten Spiele mit Schwellern und spritzigen, neu gehörten Akzenten, die die Wellen einer spannungsgeladenen Strömung andeuteten; dazu kommt das bewusste Weglassen jeglichen Vibratos. Diese Markenzeichen und ungeheuren Stärken des Briten zeugen nicht von einem fälschlichen Eindruck lästiger Pedanterie, sondern resultieren in einer direkteren Sprache der Musik, die der Entdeckung, Theatralik und Originalität zugute kommen.
Die Schärfung der Kontraste und Instrumente wurde zunächst im klaren, stimmungsvollen, auftankenden Adagio offengelegt, in dem die Streicher die Fläche ziselierten, die Bässe die Kulisse des Dramas unterlegten, von dem vor allem Flöte und Fagott darüber kündeten. Im furios schnellen Allegro waren sie es dann, die mit noch dynamischerer, gewitzterer Akzentsetzung alles zu einem stürmischen Erlebnis aufschäumten. Das Blech meldete sich außerdem scharf zu Wort, wobei sich mit der alarmierenden Wachen-Trompete von der hinteren Empore aus ein gewaltiges, turbulentes Temperament entlud, das das London Symphony Orchestra eindrucksvoll und rhythmisch mitreißend umsetzten und verkörpern konnte.
So war die kurze Goethe-Vertonung danach, die außerdem im späteren Schaffen Mendelssohns wieder auftaucht, ein untermalendes Spiegelbild aus Ton und Worten. Gespiegelt wurde die glatte Meeresoberfläche von den verzückend leisen Streichern, auf deren Grundierung die vierundvierzigköpfige Mannschaft des Monteverdi Choir den Text mit flachen, egal-strengen, aber sanften Stimmen legte. Mit spitzer Regungslosigkeit ertrugen sie im dynamisch einzigartigen Beherrschen eines deutlichen wie effektvollen Pianos die nervige, ja betont „fürchterliche“ Flaute. Aus der Meeresstille erhob sich mit wirkmächtigem Crescendo zur Glücklichen Fahrt dann eine von Gardiner aus dem Musikhimmel Beethovens gemalten, „geschwinden“ Brise, dass der Seemann in kürzester Zeit an Land kommen müsste. Vor Vorfreude jubilierend, tosend, hektisch und geschäftig veranschaulichten die Stimmen des Chores flink und in kompakter Stärke kongruent mit denen des Orchesters die aufbrausende, fröhliche Raserei, die vom maximalen dynamischen und artikulatorischen Kontrast lebte und Beethovens revolutionäre Extremität abermals übersetzte.