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Moderne Renaissance: Grigory Sokolov spielt William Byrd in der Kölner Philharmonie

Par , 11 juillet 2025

Wenn Grigory Sokolov einen Klavierabend gibt, wie hier in der Kölner Philharmonie, dann hat man den Eindruck, dass er für sich spielt und das Publikum im Saal nur duldet. Und doch ist wohl derzeit kein Pianist so großzügig, was Zugaben anbelangt.

Grigory Sokolov
© AMC Verona

Für die erste Hälfte seines Konzerts hatte Sokolov Stücke des englischen Renaissance-Komponisten William Byrd auf das Programm gesetzt, die für das Virginal gedacht sind: ein Tasteninstrument, auf dem die Töne mit einem Kiel metallisch-zart zu erzeugen sind. Um historisch informierte Aufführungspraxis war es Sokolov aber schon in seiner früheren Beschäftigung mit Rameau, Couperin und Purcell nicht gegangen. Stattdessen transportierte er diese Werke der Alten Musik auf seine eigene Weise in die Gegenwart. Dazu hat er eine repräsentative sechsteilige Auswahl der von Byrd bevorzugten Genres zusammengestellt.

Besondere Aufmerksamkeit widmete er den zahlreichen Trillern, die unter seinen Fingern nicht die Funktion akzidenteller Verzierungen hatten, sondern zu Motiven aufgewertet wurden, welche die Stücke nicht beluden, sondern vorantrieben. Niemals ließ er die Triller hervor prallen, sondern modellierte sie stets, so rasch sie auch zu spielen waren, klanglich ganz sacht in den Fluss der Melodien, die er auf dem modernen Steinway-Flügel wesentlich leichter zum Singen bringen konnte als auf dem Virginal.

Ging es ihm auch nicht darum, einen originalen Klang zu suggerieren, so wollte er keine Alte Musik romantisieren, sondern die Charaktere der Stücke in die Gegenwart tragen. Er ließ die Pavane gravitätisch schreiten, die Galliard dagegen lebendig springen. In den Variationen über das Lied John come kiss me now und Callino casturame verhinderte sein reichlicher Gebrauch des linken Pedals, dass die rhythmisch mitunter widerborstigen Innenstimmen die Melodie übertönten.

Nach der Pause kam der Konzertflügel dann zu seinem angestammtem Recht. In der ersten der vier Balladen Op.10 von Johannes Brahms trug Sokolov den Dialog zwischen Mutter und Sohn geradezu deklamatorisch vor, steigerte ihn im Mittelteil zu fast orchestraler Wucht, indem er in der rechten Hand das Triolenmotiv vom Beginn der Fünften Symphonie Beethovens hämmerte und in der linken Hand in feinster Balance den Bass wie als Dux-Comes-Dux führte. Im letzten Abschnitt verwirrte er mit einen hingetupften Triolenkontrapunkt das Anfangsthema mehr ins Skurile, als dass er so Edward eine schwere Bürde auflud. Sehr überzeugend gelang ihm die dritte Ballade, die er als hoffmaneskes Scherzo auffasste und den schon unheimlich flüchtigen Beginn in der Reprise noch mehr in der Schwebe zu halten verstand.

Die beiden Rhapsodien spielte er als jene zerrissenen Gesänge, als die Brahms sie komponiert hat. Kraftvoll-stachelig trat das Hauptthema der in h-Moll stehenden ersten hervor. Wie gut er die Notentexte studiert hat belegt er im letzten Abschnitt. Die Harmonik wird einfacher. Darum mildern er den Ton. Ganz groß war es, wie er darauf reagierte, dass Brahms am Ende die Tonart nicht nach H-Dur aufhellte, sondern in einen e-Moll-Halbschluss öffnete. Entsprechend unentschieden ließ Sokolov dieses Ende ausklingen. Auch die zweite Rhapsodie gestaltete er ganz aus ihrer harmonischen Form und suchte die Grundtonart. Erst wenn sie gefunden war, gab er seinem Spiel festen Halt.

Auch an diesem Abend bildeten die Zugaben einen eigenständigen dritten Teil: vier Mazurken Chopins spielte er aus Op.30, Op.50 und Op.68, streute Rameaus Les sauvages ein.

****1
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“Sokolov transportierte diese Werke der Alten Musik auf seine eigene Weise in die Gegenwart”
Critique faite à Kölner Philharmonie, Cologne, le 8 juillet 2025
Byrd, John Come Kiss Me Now ((variations))
Byrd, Firste Pavian and Galliarde, BK29
Byrd, Fantasia
Byrd, Alman and Lavolta en sol majeur
Byrd, Pavan and Two Galliards "The Earl of Salisbury"
Byrd, Divisions on Callino Casturame
Brahms, Quatre Ballades pour Piano, Op.10
Brahms, Deux Rhapsodies pour Piano, Op.79
Grigory Sokolov, Piano
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