Wie bei allen Gebrauchsdingen gibt es auch in Mode und Stil, dem Festivalmotto der 47. Tage Alter Musik in Herne, die Kategorie des Luxus. In der Musik und ihrer Aufführung besteht ein solcher darin, eine erlesene Auswahl an Künstlerinnen und Künstlern im Roster zu haben. Die Wiener Produktionsgesellschaft Parnassus Arts hat solche im agentürlichen Petto und sich mit Countertenor Max Emanuel Cenčić darauf spezialisiert, vergangene Phänomene der damals musikalisch vernommenen Exklusivität in heutiger Zeit wieder kenntlich zu machen. Beim Herner Festival war das Antonio Caldaras für den 4. November 1725 (Kaiser Karls Namenstag) fertiggestellte Oper Il Venceslao, die – beim später langsamen Verblassen des vorherrschend barockitalienischen Theatergenres und der Bedeutung der Wiener Hofkapelle – neben der typischen Phalanx an männlichen und weiblichen (Mezzo-)Sopranen auch die berüchtigte und damit habsburgimperial stimmige, üppige Besonderheit ganzer Pompscharen von Trompeten auffährt.
Spielpraktisch verwirklicht wurde das Stück seitens des polnischen {oh!} Orkiestras unter Leitung Martyna Pastuszkas. Das Ensemble gab dem qualitativen und herkünftlichen Luxus – wie unter anderem bereits bei Leonardo Vincis zeitgeschichtlich und librettogeographisch ähnlichem Gismondo, der Name kommt auch hier vor – eine passende Entsprechung, selbst wenn in Herne eine Halbierung der je vier Clarinen und Tromben zu den Pauken bei vorheriger Premierung im Parnassus-heimatlichen Theater an der Wien vor einem Jahr vorgenommen wurde. Das Festgeschirr bildet – erst recht bei reichlich gekürzter Fassung – lediglich den anlassstiftenden Rahmen; dazwischen wird dagegen in klassisch italienischer Besetzungsmanier von Streichern, Oboen und Continuo melodiös gezaubert, was das Zeug hält. Und was das {oh!} Orkiestra affektbewusst und stimmungsvoll einfing. Zwar musste es sich rezitativisch etwas länger in sonst übliche Dramatik einfinden, doch waren es eben vor allem die Arien, in denen das Ensemble seinen herzlichen, wenngleich etwas zurückgenommenen Pep sowie szenemalenden und balancetechnischen Umsetzungsverstand in diesmal ziemlich wärmendem, feinem Caldara-Klangkleid offenbarte.
Bevor ich sofort zu den vokalen Stoffträgern komme: Woraus ist die Oper inhaltlich eigentlich konstruiert? Hier ein Abriss des Wiener Barockfetzens: Obwohl es im Mittelalter einen Polenkönig Wenzel II. gab, strickte Hoftexter Apostolo Zeno eine rein fiktive, aber zur halbwegen Wahrung einer historisch genehmen Seria und damit Karls Wink-mit-dem-Zaunpfahl-Maßvorgaben einhaltenden Geschichte späteren Datums zurecht. So handelt das Werk von den Sorgen Wenzels mit seinem aufmüpfigen, aus der gepflogenheits- und geschäftspolitischen Reihe tanzenden Sohn Casimiro. Dieser hatte sich gemäß der polnischen Union mit Litauen der nachbarstaatlichen Königin versprochen, jedoch von ihr losgesagt, um lieber an Erenice, der Zukünftigen seines Bruders Alessandro zu graben. An ihr wiederum hätte Soldatenheld Ernando auch gerne mehr als freundschaftlich-dienende Aktien, ist er Alessandros bester Kumpel und eher zweiter Sohn Wenzels als Casimiro. Muss natürlich einer in der Mélange den Tod sterben, trifft es ausgerechnet Alessandro, den Casimiro mit Ernando verwechselt, als ihn der eifersüchtige Wüstling aus dem Weg räumen wollte. Er geht ausgangsfälschlich davon aus, Ernando sei der „einzige welche“ bei Erenice. Da herrschte wohl schon länger Funkstille zwischen den Geschwistern. Zwischen Vaterschaft und gesetzlichem Königsrichtertum, Casimiro zum Tode zu verurteilen, zerrieben, dankt Wenzel schließlich ab; ebenso verzichten Ernando und Erenice auf ihre Selbstjustizpläne. Statt seiner schlägt er Casimiro zum Nachfolger vor, den das Volk – was ist schon ein unberechenbarer Brudermörder an der Spitze? – auch wählt.