„Wie kann man aus einer Oper klug werden?“ fragt einer der Bediensteten der Gräfin Madeleine in einem Rokokoschloss nahe Paris die anderen Diener. Und wirklich, viele Aspekte des Librettos regen zum Nachdenken an; in diesem „Konversationsstück für Musik” geht es nicht um Heldentat oder Liebestod. Richard Strauss hat 1942 für Capriccio zusammen mit Stefan Zweig, Joseph Gregor und Clemens Krauss ein Textbuch voll feingeistiger Gedankengänge verfasst, als kunstimmanenten Diskurs darüber, ob nun in der Oper den Worten oder der Musik der Vorzug zu gewähren sei. Und eine bis heute ergreifende, gänzlich schlichte, dabei harmonisch raffinierte Musik darüber gelegt, die vom Streichsextett in der Ouvertüre bis zu dicht instrumentierten, überschäumenden orchestralen Momenten vor kräftigen hyperromantischen Gefühlsausbrüchen nicht zurückscheut.
Capriccio wendet sich ab vom Tagesgeschehen aus Krieg, Angst und Zerstörung, was manchen Hörer befremden mag. Doch bereits der damalige Münchner Intendant Rudolf Hartmann gab zu bedenken, dass viele Besucher durch die abgedunkelte Stadt mit Hilfe kleiner Taschenlampen, die nur einen schmalen Schlitz von schwachem blauem Licht freigaben, den Weg zum Nationaltheater suchten, um die Uraufführung des Capriccio miterleben, wenigstens kurzzeitig festliche Umgebung und schöngeistige Ablenkung genießen zu können.
80 Jahre nach der Uraufführung an der Bayerischen Staatsoper erarbeitete der ungarische Regisseur David Marton die bereits 2013 in Lyon entstandene Produktion neu im Prinzregententheater, in einem detailreichen Bühnenbild seines langjährigen Bühnenbildners Christian Friedländer und mit modischen Kostümen aus 18. und 20. Jahrhundert von Pola Kardum. In Brüssel war diese Inszenierung 2016, teils schon mit Sängern der aktuellen Münchner Einrichtung, wieder aufgenommen worden. In einem Längsschnitt blickt man auf die Innenwelt eines alten Theaters, liebevoll mit rot gepolsterten Parkettreihen, Balkonen und einer hoch eingesetzten Bühne bestückt, die auch den Blick in die darunterliegende Sphäre des Orchestergrabens, des Souffleurkastens und des Fundus freigibt. So können die Schauspieler Publikum werden, über eine schmucklose Metalltreppe zwischen beiden Welten wechseln, mit den Musikern parlieren.
Prima la musica, dopo le parole – oder ist es doch umgekehrt? Diesen uralten Streit, für den schon Antonio Salieri eine ausgleichende Lösung finden musste, personifizierte Strauss mit Hilfe von Flamand, dem Musiker und Komponisten, sowie Olivier, dem Dichter; beide buhlen, nicht ohne Sympathie füreinander, mit all ihrer Kunstfertigkeit um die Liebe der schönen Madeleine. Weiteren Zündstoff bringt der Theaterdirektor La Roche in die Handlung, der den Geburtstag der Gräfin mit einer mythologischen Aktion bereichern möchte, die fantasievoll alle Theaterkünste einbindet: Poesie, Malerei, Skulptur, Musik, Maske und Kostüm. Dazu sollen Oliviers Verse vollendet vorgetragen werden von der Schauspielerin Clairon und ihrem aus Liebhaberei agierenden Partner, dem gräflichen Bruder von Madeleine.
Im Mittelpunkt stand Diana Damrau in ihrem Debüt als Gräfin: elegant, sanft dominierend, mit Glamour. Ihre Begeisterung für dieses Rollenportrait war nicht zu übersehen, ihr Gesang in viele Facetten wundervoll aufgefächert zwischen stiller Zärtlichkeit und kraftvoll beherrschendem Stimmeinsatz im Vibrato. Wenn sie in diese Figur weiter hineinwächst, kann sie auch die deklamatorische Seite in der Konversation intensivieren und noch textdeutlicher artikulieren.