Ob bewusst platzierter Programmverkauf oder purer Zufall, nimmt sich Vox Luminis bisher jedenfalls in der Regelmäßigkeit aller fünf bis sechs Jahre Giacomo Carissimis Jephte vor, mit dem auch die offizielle Aufführungsgeschichte des Ensembles unter Leitung Lionel Meuniers 2004 begann.
So eben dieses Jahr wieder, sei es zusammen mit Carissimis Schüler Charpentier oder in neuem Programm ausschließlich mit dem Gottvater des Rezitativs und des geistlichen, deklamativen Operndialogs selbst. Jenem Komponisten, der vom Papst protegiert und verehrt, vom Kaiser umworben, von konvertierter Christina von Schweden geschätzt und bestellt, von Kerll und Bernhard aufgesucht, einhundert Jahre später von Mattheson gelobt und von Händel zitiert wurde; und der die musikalische Form als Maestro di Cappella am Deutsch-Ungarischen Collegium mit der Chiesa San Appolinare in Rom ab den 1630er Jahren geschickt kultivierte. In einer Zeit also, als sich die weltliche Oper rasant entwickelte, nachdem Peri und Caccini das neue Genre zu Carissimis Geburt 1605 einführend gepflegt, de‘ Cavalieri den oratorischen Stil-Standard gesetzt und Monteverdi das Ding revolutionär zum Laufen gebracht hatten.
Erstes der drei neben dem meistaufgeführten Jephte vorgestellten Oratorien am Abend in De Singel Antwerpen war dabei Vanitas Vanitatum, das 1650 in Carissimis Sammlung nicht fehlen durfte, die Kunstrichtung der Vergänglichkeit und dann übersetzten Eitelkeit angesichts von (Reformations-)Kriegen und Pestepidemien in Oratoriumsmusik zu kleiden. Freilich im Vergleich zu Jephte trotz der Ritornell-Violinen zusätzlich zum Generalbass etwas „schlichter” gehalten, vermittelte Vox Luminis in eigener künstlerischer Anschauung, Wort und Harmonie ohne dick aufgetragene Expressivität sprechen zu lassen, glaubwürdige Ehrfurcht und ernüchternden Realismus des theologischen Gedankens. Dafür wurden die Solo-Strophen durch Raffaele Giordani, Caroline Weynants, Vojtech Semerád, Guglielmo Buonsanti und Zsuzsi Tóth behutsam sowie mit jeweils kleineren Eintrübungen zum stets etwas dynamisch nachdrücklicher geäußerten Titel-„Refrain“ vorgetragen, denen die Chorritornelle stilwahrend homogen und effizient nachkamen, bis sie zum Ende in ein madrigalhaftes Chorensemble voll stärkend-getragener Feierlichkeit und Würde mündeten.
Den Violone aus Vox Luminis‘ Basso von Theorbe, Harfe, Lirone und besonders Elina Albachs register- und verzierungspraktisch wunderbar bedienter Orgel exkludierend, widmete sich das Ensemble danach besagtem Jephte und dem rhetorischen Mehr, den das Stück über das schicksalshafte Wechselbad von Vater und opferungstodgeweihter Tochter hergibt. Und zwar mit nahbarerer, etwas dramatischerer Affektausfüllung, ohne natürlich den Ansatz aus gelassener Pracht aufzukündigen. Neben den durchweg erfreulich verlässlichen, deutlichen solistischen Historicus- und sonstigen Einsätzen seitens Semerád, Weynants, Līga Zīriņa, Kateřina Blížkovská und Sebastian Myrus führte diese Einstellung zu einem Klagegesang der sechsstimmigen Begleiter, der von zittrig-weinender Empathie im Piano mit Crescendo zu herzergreifend beiständigem, versammelnden Trost reifte. Jenes aufnehmende „Plorate filii Israel“ verwandelte davor Carine Tinney als Tochter Jephtes (Jacob Lawrence als innig verzweifelter Vater) durch ihre bestechende Phrasierung und (deklamative wie klanglich exquisite) Stimmkultur in ein berührendes Lamento einer erschütterten wie heldinnenhaft aufrechten Frau.