Das Nationaltheater Mannheim zeigte mit der Uraufführung von Der Golem ein Musiktheater, das begeistern kann. Regisseur Peter Missotten arbeitete dafür eng mit dem Komponisten Bernhard Lang zusammen und zeichnet zudem für die Bühne, das Licht und die zahlreichen Videosequenzen verantwortlich, von denen nicht alle eigens für das Bühnenwerk entstanden, sondern schon vorher als kreatives Erzeugnis vorhanden waren. Bernhard Lang sei nach der Sichtung des „Video-Librettos“ das Komponieren des Bühnenwerks leicht von der Hand gegangen und diesen Fluss spürte man deutlich; Missotten und Lang erwiesen sich als eingespieltes Team.
Diese fruchtbare Zusammenarbeit schien sich auf das gesamte Ensemble und Orchester zu übertragen. Raymond Ayers gab solide und vor allem glaubhaft die Hauptfigur Athanasius Pernath, ein Gemmenschneider und Feinmechaniker, der in Intrigen verwickelt wird und im jüdischen Viertel von Prag an den heimlichen Strippenzieher und Ghetto-Besitzer Wassertrum gerät. Während Ayers teilweise sang, sprach und einmal fast beatboxte, beherrschten alle Sänger einen wunderbar schrägen Slang, der die Szenerie des jüdischen Ghettos unterstrich. Die Regie entschied sich, alle Gesangspartien in Mikrophone singen zu lassen, wodurch die Stimmen, auch wenn sie noch so geflüstert waren, immer im Zuschauerraum auf unheimliche Weise präsent waren. Leider erlaubte der Einsatz von Mikrophonen nicht, die Klangfarben in ihrer gesamten Differenziertheit wahrzunehmen, was dem Musiktheater aber keinen Abbruch tat.
Eine wunderbare Partie gestaltete der junge Altus Alin Deleanu (Charousek/Wassertrum) mit klarem Ton und beeundruckenden Wechseln von Kopf-, Brust- und Sprechstimme; die vielen Wiederholungen von Phrasen unterstützte er mit seinem Schauspiel grandios und lief besonders in der einzigen Szene, in der Wassertrum auf Pernath trifft, zu Hochform auf. Charousek hingegen, ein armer Medizinstudent, hat sein Leben dem Hass an Wassertrum gewidmet, weil dieser seine Mutter einst an ein Lusthaus verkaufte. Da Wassertrum zu allem Übel auch noch Charouseks Erzeuger ist, ist die Rolle schon von vorn herein dramaturgisch brisant zusammengesetzt. Wenn Deleanu als Wassertrum auftrat, spielte er seine Rolle des geizigen Juden überzeugend und mit einem Witz, der viele Zuschauer schmunzeln ließ; dennoch klang stimmlich immer wieder der bedrohende Grundton der Figur mit.
Auch musikalisch brisant ist die Szene, in der sich Charousek in Wassertrum „verwandelt“ und das Spiel der Oper mit Identität, Bewusstem und Unterbewusstem auf die Spitze treibt. Umgeben vom mystischen Wesen des Golems (in der Inszenierung durch drei nackte Körper dargestellt), der den verarmten Studenten mit zerschlissener Kleidung in ein edles Gewand aus schwarzem Stoff und goldenem Tuch hüllt, erklingt ein zitiertes kirchliches Werk von Bach, das das bisher radikal moderne Klangbild der Komposition aufbricht. Deleanu, gottgleich mit der Dreifaltigkeit des Golems umgeben, arbeitete dabei mit starker Dynamik, sodass dieser besondere Moment auch ein physisch wahrnehmbares Ereignis wurde.