Ein buntes Völkchen tummelt sich auf der Bühne in Lorenzo Fioronis Inszenierung am Nationaltheater Mannheim, und zwar quer durch alle Schichten. Es finden sich vornehme Herrschaften, Damen, die wirken, als wollten sie einen Ball besuchen, aber auch Menschen wie du und ich, die auf der Straße für die Liebe demonstrieren. Damit bringt Fioroni ganz spielerisch das auf die Bühne, was Rameau in dem von ihm selbst bald wieder gestrichenen Prolog zur Oper Hippolyte et Aricie zum Ausdruck brachte – die Auseinandersetzung zwischen Diane und Amour, erstere steht für Ordnung und legale Liebe, letzterer für Chaos und freie Liebe. Dass Amor gern seine Pfeile blind verschießt, kommt in Fioronis Fassung am Ende auch zur Sprache.
Und damit hat Fioroni denn auch gleich zu Beginn den Kern von Rameaus Oper getroffen, denn Phèdre, die zweite junge Gattin von König Thésée hat sich in dessen Sohn, ihren Stiefsohn also, verliebt, der allerdings diese Liebe nicht erwidert, sondern seinerseits Aricie begehrt. Selbst schuld, befindet Phèdres Amme Oenone in einem kurzen Abriss der Vorgeschichte, wer eine viel jüngere Frau heiratet und sie zu lange allein lasse, müsse damit rechnen. Coronabedingt wurde die Inszenierung gekürzt und mit knappen Zwischentexten versehen, was der Kohärenz des Ganzen allerdings keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Die Kürzung betrifft auch den ganzen Handlungskomplex um Thésées Vater Neptun, was den Götteranteil der Geschichte angenehm auf Jupiter und Diane konzentriert.
Phèdres Liebe ist aus Sicht der Gesellschaft und der Moral verwerflich, sie wird denn auch am Ende Selbstmord begehen, wird aber nicht, und das ist bedeutsam, von der Gesellschaft oder den Göttern bestraft, vielmehr wählt sie den Freitod, weil ihre Liebe nicht erwidert wird, also aus rein emotionalen Gründen, und wer die Musik genau betrachtet, die Rameau dieser Figur gewidmet hat, fragt sich, ob ihre Liebe nicht die eigentlich wahre ist. Sophie Rennert lotete die Bandbreite dieses Gefühlslebens fulminant aus, mit einem vollen Sopran gelangen ihr innige Liebesbekenntnisse ebenso wie rasender Zorn. Doch steht ihr ihre Kontrahentin um die Liebesgunst Hippolytes in nichts nach. Amelia Scicolone als Aricie verbreitete mädchenhafte Leichtigkeit mit herrlichen Koloraturen. Und Charles Sy konnte mit kraftvollem und zugleich lyrischem Tenor die schwierigen emotional Ausbrüche brillant meistern. Dirigent Bernhard Forck gelang eine wunderbar lebendige Realisierung der Partitur, die auch heute noch jede emotionale Regung nachvollziehbar macht.