Gewiss bedürfen Dido und Aeneas, Opernstoff für über 80 Komponisten, eigentlich keiner Einleitung – wenn man beispielsweise nur an Henry Purcells beliebtestes Werk denkt. Doch sieht es bei Christoph Graupners „Singespiel“ Dido, Königin von Carthago für die Hamburger Oper 1707 auf ein Libretto Heinrich Hinschs definitiv anders aus. Neuzeitlich erst 2010 vom Hamburger Ensembleleiter Jörg Jacobi ediert sowie mit Dirigent Florian Heyerick aufgeführt, 2020 von den dortigen Schirokko-Kollegen in der Elbphilharmonie vorgestellt, ist Graupners voraussetzungsmäßig an Gänsemarkt-Indendant Keiser und späteren Hausleiter Telemann orientierter, aber individuell die Vorzeit und Gegenwart aufnehmender wie teils die Zukunft weisender Opernerstling eine Rarität, die es noch erheblich bekannter zu machen gilt.
Dafür guckte sich Andrea Marcon auf Hinweis Kees Vlaardingerbroeks die Oper mit dem La Cetra Barockorchester für die NTR ZaterdagMatinee in Amsterdam und die heimische Wiedergabe in Basel aus, die im Sommer nochmals in Innsbruck vorgesehen ist. Überall dort feiert sie die heurige Premiere, hatte zwischenzeitlich Anna Prohaska, die bei der 2010-Erstaufführung die Rolle der Juno verkörperte, zusammen mit Giovanni Antonini versucht, das Stück durch zwei, drei Arienbeispiele stärker ins Bewusstsein zu rücken. Eines, das durch musikalisch extravagante, eben auch hamburgtypische textliche Vermischung von Deutschem und Italienischem von Anfang an Fahrt hat. Nämlich durch Schicksalswächterin Juno, mit der alles so außergewöhnlich bei Graupner seinen Lauf nimmt. Ihr ist fast der erste Akt gewidmet, hat sie darin doch eine Bravourarie nach der nächsten zu singen.
Bereits die instrumentale Introduktion ist keine gewöhnliche Ouvertüre, sondern führt als große Szene gedacht in Junos Aus-den-Wolken-Donnern zu Beginn hin, wobei Graupners Einfall die Formen des Erwartbaren völlig durchbricht; so wie der Verlauf danach mit einwendenden Rezitativen in den Arien oder die Folge von kuriosen Accompagnati, Ariosi-(Rezitativen) und Cori beziehungsweise äußerst kurzen Arien den an das barocke ABA-Schema gewohnten Zuhörer in andere Welten entführt. In sie katapultierte Andrea Marcon, wie üblich dirigierend und das diesmal wieder mit Andrea Buccarella besetzte Cembalo doppelnd, mit ausgesprochenem Sinn für Theatralik, der mit jeder Opernvorstellung bei der ZaterdagMatinee zu wachsen scheint. Er ließ die Musiker ihre Höchstleistung herausbringen und war Herr über die fantastische Partitur sowie sehr rasche oder langsame, sprich effekt- und affektgesteuerte, konstrastierende Tempi und einen inspirierenden, knackigen und geschmeidigeren, angemessen kultivierten Klang einfangender Atmosphäre.
Das La Cetra Barockorchester lieferte diesen in hingebungsvoller Weise als Garant für ein instrumentales Opernfest – und damit als Eigenbewohner im Olymp historisch-informierter Ensembles. Wie sehr zeigte prominent Philip Tarr an den Pauken, die er ab dem zweiten Part des zweiten Akts erheblich häufiger gebührend losfeuern konnte; entweder in den inbrünstigen, innigen Huldigungs-Chorreprisen, den martialischeren Sinfonie oder der einzigen echten Tutti-Aria der Fassung, Didos wörtliche Aufforderung „Lass die Pauken klingen“. Und am Donnerblech zu besagter und weiterer Szenerieuntermalung, in der er unfreiwillig über Gebühr für Schrecken sorgte, als die Platte durch heftigen Einsatz herunterzufallen drohte. Da mit exponierteren, einfühlsamen Obligatsoli bedacht, seien zudem Konzertmeisterin Eva Saladin und Oboist Georg Fritz herausgegriffen, auf die – wie ebenfalls das komplette Continuo La Cetras – intonationsabgebrüht und auch sonst voll im Dienst der Sache größter Verlass für diese grandiose Umsetzung war.