Schritt für Schritt rollt René Jacobs seit den späten 1980er Jahren die Operngeschichte auf, bevor er sich 2017 mit der Symphonie Nr. 1 folgerichtig erstmals Beethoven widmete und jetzt seiner einzigen Oper, Leonore, ausschließlich als Fidelio bekannt. Schon ihre Vorgeschichte ist interessant und offenbart Beethovens eigenen Entsehungsprozess, der von Vorgaben und Inspirierungen Mozarts über Pierre Gaveaux und Luigi Cherubini bis zu Ferdinando Paer geht. Für den Entdecker und Tüftler Jacobs also wieder eine Aufgabe, aus Quellen und nicht einfachem Aufführungsmaterial – da gibt es einige Kürzungen, Revisionen und Ouvertüren – eine überzeugende Grundlage für eine ebensolche Interpretation zu zimmern.
Diese gelang auch in der Kölner Philharmonie, in der Jacobs und seine mehr als vertrauten Klangkörper, das Freiburger Barockorchester und seine Gesangssolisten, diesmal zusammen mit der Zürcher Sing-Akademie, für die bereits erprobte halbszenische Produktion Station machten. Die Treue manifestierte sich zudem in Jacobs' favorisierter Disposition der barock-geteilten Instrumental-Aufstellung. Die Freiburger waren natürlich transparent und stark aufgedreht, was auf der Bühne (leider ein immerwährendes Manko bei einer konzertanten Aufführung) zum häufigen Überdecken der Solisten führte. Im Tempo noch relativ zurückhaltend eröffneten sie mit der zweiten Leonoren-Ouvertüre (ohne Generalpausen), in der das Ensemble die musikalisch-revolutionäre Zusammenfassung der Oper aber wie über die ganze Strecke in die akzentuierten, spannenden Farben tauchte. Am eindrücklichsten geriet dies natürlich bei den wilden Auftritten Pizarros oder der Atmosphäre-Untermalung von Beklemmung und Kälte im tiefen Dunkel des Kerkers.
Die laut Jacobs „richtigen“ Tempi (das heißt in der Aufführungspraxis eigentlich unbestritten schneller) entwickelten sich dann in allen Nummern bis zum Lobpreis im oratorischen Christus-am-Ölberg-Nachhall, bei dem der Dirigent zum langsameren Gang der Eröffnung zurückkehrte, zumal er auf die Alla-breve-Anziehung im endgültigen Finale überraschend verzichtete. Die musikalischen Singspiele der Charaktere blieben durch die sehr raschen Zeitmaße vieleher in einem angenehmen Fluss, dem die Sängerauswahl Jacobs' fast wie selbstverständlich in perfektionistischer Befähigung, Technik und Routine gewachsen war, deren Zusammenpassen sich schließlich stets in den schönen Mozarthuldigungen der Duette, Terzette, Quartette aufs Neue offenbarte. In bewundernswerter Aussprache und Deutlichkeit bewältigten alle Solisten so nicht nur die klassisch nicht-klassisch schwierigen Anforderungen Beethovens, sondern ebenfalls die von Jacobs eingearbeiteten Theaterdialoge, die – anders als bei Gardiner – nicht vielleicht kritikergerecht stark gekürzt wurden. Sie verschleppten keineswegs die Handlung, hätten jedoch, hier in größerer Originalität zu Beethoven als zu Jacobs angelegt, weniger steif sein können.